Honor Harrington Bd. 16
einz’ge Warnung, die ihr bekommt.«
Die Reaktion des Piraten bestand darin, den Beschleunigungswert noch mehr zu erhöhen. Er muss kurz vor dem Kompensatorversagen stehen, dachte Gohr, die ihr Display mit eisiger Distanz betrachtete. Zwanzig Herzschläge liefen in die Unendlichkeit davon.
»Lieutenant Gohr«, sagte Captain Oversteegen formell, »eröffnen Sie das Feuer.«
»Also, ich finde, dass sie sich recht gut anlässt, Sir«, sagte Commander Watson. Michael Oversteegen lehnte sich in dem Sessel seines Arbeitszimmers an Bord der Gauntlet zurück, sein Gesicht eine Aufforderung an den Ersten Offizier, sie möge fortfahren, und Watson lächelte.
»Schön, ich gebe es zu«, sagte die dunkelhaarige Eins-O mit einem Auflachen, das sich nur wenige von Oversteegens Offizieren in seiner Gegenwart erlaubt hätten. »Als Sie das erste Mal den Gedanken äußerten, einen ›Spion‹ als Zwo-TO anzufordern, hielt ich es für ... keine Ihrer besten Ideen. Doch Lieutenant Gohr scheint wenigstens nicht vergessen zu haben, aus welchem Ende des Rohrs die Rakete rauskommt.«
Das ist ein wenig untertrieben, dachte sie. Natürlich konnte der arme Schwachkopf sich mit uns nicht messen, aber Gohr hatte ganz gewiss Recht mit ihrer Vermutung, wie viele Breitseiten es brauchen würde, um mit ihm fertig zu werden.
»Schön, bei Ihnen Anklang zu finden«, murmelte Oversteegen, und Watsons bezaubernd hellblaue Augen funkelten belustigt. Der Kommandant wiederum freute sich, das Funkeln zu sehen. Die Eins-O war im Gefecht von Tiberian schwer verwundet worden, und offen gesagt hatte er zunächst bezweifelt, ob Surgeon-Lieutenant-Commander Westman, die Schiffsärztin, sie überhaupt durchbringen könnte. Obwohl es Westman gelungen war, Watson das Leben zu retten, hatten die besten Flottenärzte zur Heilung Watsons länger gebraucht als die Navy zur Reparatur der Gauntlet. Am Ende war es ihnen sogar gelungen, das linke Bein der Eins-O zu retten, und trotzdem hatte Oversteegen sorgsam verhohlene Bedenken gehegt, ob sich Watson wirklich vollkommen wiederhergestellt an Bord zurückmeldete. Watson war mehr als fünfundvierzig Minuten in den Trümmern des Hilfskontrollraums der Gauntlet eingeschlossen gewesen, bevor die Rettungstrupps zu ihr Vordringen konnten. Fünfundvierzig Minuten ohne Schmerzmittel, während sie langsam verblutete.
Als sie sich wieder zum Dienst meldete, hatte Oversteegen erwartet, in ihren Augen den einen oder anderen versteckten Schatten zu sehen. Weiß Gott hätte ein Schock wie der, den sie durchgemacht hatte, bei vielen Menschen mehr als ausgereicht, um ihre Karriere als Gefechtsoffizier zu beenden. Doch wenn Linda Watson von Albträumen oder inneren Ängsten geplagt wurde, so verbarg sie diese sehr gut - so gut, dass nicht einmal jemand wie Oversteegen, der sie buchstäblich seit der Akademie kannte, davon etwas zu entdecken vermochte.
»Ich kann mir denken, dass Sie das - schön finden«, entgegnete sie. »Aber andernfalls hätte es Sie doch kalt gelassen.«
»Aber sicher«, stimmte er ihr zu. »And'rerseits steht es bei jedem Kommandanten ganz oben auf der Liste, seine Eins-O bei Laune zu halten - zumindest bei Kommandanten, die bis drei zähl’n könn’. Sie hätt’ sonst schließlich so viele Gelegenheiten, ihm ihr Missfallen zu schmecken zu geben, oder nicht?«
»Ich bin mir ganz sicher, dass ich nicht weiß, wovon Sie sprechen«, versicherte Watson ihm.
»Ich hab’ die Erfahrung gemacht, dass Sphinxianer aus irgend’nem Grund keine besonders guten Lügner sind«, erwiderte Oversteegen. »Nicht so kultiviert wie wir gebürtigen Manticoraner, nehm’ ich an. Trotzdem, daran sollt’n Sie vielleicht arbeiten.«
»Ich behalte es im Auge«, versprach sie.
»Gut.« Er warf ihr das Lächeln zu, bei dem sie schon immer gefunden hatte, wie schade es sei, dass er es nur so wenigen Menschen zeigte, dann warf er den Kopf zurück, ein Manierismus, der anzeigte, dass er geistig einen anderen Gang eingelegt hatte.
»Nachdem wir uns nun um die gute Lieutenant Gohr gekümmert haben«, sagte er, »und Sie Zeit hatten, sich mit unserem Einsatzplan zu befassen, was denken Sie?«
»Ich denke bei allem schuldigen Respekt, dass die Regierung Ihres geschätzten Herrn Anverwandten lange hart gearbeitet haben muss, um so viele Idioten auf solch engem Raum zusammenzubringen«, antwortete sie, und Oversteegen gelang es nur knapp, sich ein Auflachen zu verbeißen. Keiner seiner übrigen Offiziere hätte es gewagt, sich ihm
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