Honor Harrington: Das Mesa-Komplott: Roman (German Edition)
ansehen – eine Aggression, die sich unmittelbar gegen sie persönlich richtet. Schließlich bedroht das ja die Stabilität – und auch die Verteidigungskapazität – des Systems, das ihnen einzig am Herzen liegt: ihres eigenen nämlich. Für uns noch besser ist die allgemein herrschende Ungewissheit – das Gefühl, die ganze Galaxis falle jeden Moment auseinander. Das wird selbst Liga-kritische Systeme nervös genug machen, um keine zusätzlichen Wellen schlagen zu wollen. Ja, vielleicht hat man uns – der Liga im Ganzen – geschadet, und vielleicht gefällt manchen Mitgliedern nicht alles, was wir tun. Aber wir sind immer noch die größte, mächtigste Sternnation weit und breit. Also wirkt sich zumindest vorerst der Herdentrieb noch zu unseren Gunsten aus. Aber wenn wir diesen Herdentrieb für uns nutzen wollen, müssen wir Erfolge vorweisen können – oder zumindest in der Lage sein, der Öffentlichkeit irgendetwas als Erfolg zu verkaufen. Auf militärischem Gebiet bietet uns Kingsfords Ansatz hier die besten Chancen.«
»Und für wie gut halten Sie diese Chancen wirklich?«, erkundigte sich Quartermain leise.
»Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich glaube, das weiß niemand.« Kolokoltsov ließ sich gegen die Lehne seines Sessels sinken und hob abwehrend die Hand. Seine eigene Unsicherheit in dieser Frage war deutlich spürbar. »Ich weiß nur, dass mir jede andere Möglichkeit noch weniger Erfolg versprechend erscheint. Und wenn wir auf diese Weise genug Zeit schinden können, um die Weiterentwicklung der neuen Technodyne-Raketen voranzutreiben, wird sich die ganze Lage drastisch ändern. Wir sind doch immer noch viel zu groß, als dass Manticores Große Allianz glauben könnte, sämtliche unserer Systeme einfach besetzen zu können! Wir müssen die Liga nur lange genug zusammenhalten, um die Massenproduktion hinreichend leistungsstarker Waffen an den Start zu bringen. Dann haben wir den Mantys etwas entgegenzusetzen, und das Verhältnis von militärischer Macht zu Raumvolumen, das Kingsford in seinem Vorschlag angesprochen hat, wird sich zu unseren Gunsten auswirken.«
Erneut blickte er sich am Konferenztisch um und atmete tief durch.
»Also, ich wiederhole meine Frage: Sind wir uns einig, Admiral Kingsford Strategie von Raids auf Handelsschiffe und die Infrastruktur zu billigen?«
Niemand sagte ein Wort. Doch nach und nach nickten alle Anwesenden.
Der Plenarsaal, in dem das Parlament der Solaren Liga zusammentrat, trug auch offiziell die Bezeichnung Sternensaal und war gewaltig genug, um diesen Namen zu verdienen. Die Größe war nötig. Schließlich musste jede Delegation eines jeden Mitgliedssystems Platz finden. Jedes System durfte mindestens einen Delegaten stellen; weitere Delegaten wurden nach der Bevölkerungszahl der Systeme beigemessen. Die weitaus meisten Delegationen bestanden nur aus zwei oder drei Personen, und ein Drittel der Systeme entsandte sogar nur je einen Delegaten ins Parlament. Das bevölkerungsreiche Beowulf hingegen entsandte eine Delegation aus neun Personen; Delegationschefin war Felicia Hadley.
Im Augenblick waren alle Delegationsmitglieder im Sternensaal. Fünf waren bei Hadley in der Loge der Delegation, drei mischten sich im Saal unter die anderen Delegierten. Der Delegationsstab hatte sich längst mit den Meinungsumfragen befasst, mit Leitartikeln und Kommentaren in den Medien. Doch Hadley hielt sehr viel davon, die Meinung des Parlaments aus erster Hand zu erfahren: im persönlichen Gespräch.
Vor allem an einem Tag wie diesem.
»Felicia!«
Hadley wandte sich um und erblickte Hamilton Brinton-Massengale, das dritthöchste Mitglied ihrer Delegation. Er war ein freundlicher, bescheidener Mann mit braunem Haar, der eigentlich immer ein Lächeln auf den Lippen hatte und stets in äußerst sympathischer Weise ein wenig geistesabwesend wirkte – ein Eindruck, der täuschte. Deswegen war Brinton-Massengale besser als fast jeder andere darin, die ehrliche Meinung anderer in Erfahrung zu bringen. Und genau deswegen beschleunigte sich auch Hadleys Puls, als sie den Gesichtsausdruck ihres Kollegen sah. Von dem sonst üblichen freundlichen Lächeln fand sich keine Spur.
»Was gibt’s denn, Ham?«
»Ich fürchte, das Gerücht hat tatsächlich einen wahren Kern«, sagte Brinton-Massengale leise. »Erstaunlich vielen scheint zu entgehen, wenn ich versuche, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.« Er verzog das Gesicht. »Und sicher sind nicht alle auf einen Schlag mit
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