Honors Mission: Honor Harrington, Bd. 25. Roman
wenn es erforderlich war, dann konnte sie taktisch so hinterhältig, verschlagen, geheimnistuerisch und subtil sein wie jeder andere, den Archer kannte. Aber ihre eigentliche Persönlichkeit sah anders aus: Henke war offen und ehrlich -ganz zu schweigen von ›stur‹. Und sie neigte unzweifelhaft dazu, Dinge möglichst direkt anzugehen.
Doch in diesem Moment wusste Archer die Körpersprache seiner Vorgesetzten nicht zu deuten. Was er dort sah, war kein Zeichen von Zögerlichkeit oder von Unsicherheit, kein Zeichen dafür, dass Henke es aus Besorgnis über mögliche zukünftige Konsequenzen für das ganze Sternenimperium nun an Entschlossenheit mangeln ließe. Nein. Aber irgendetwas war da doch. Etwas, das er bei diesem Admiral nicht gewohnt war. Archer fragte sich, warum er das Gefühl hatte, es ließe sich vielleicht am besten mit dem Wort ›Bedauern‹ beschreiben.
Michelle Henke atmete tief durch und straffte die Schultern. Sie wusste nichts von den Dingen, die ihrem Flaggleutnant durch den Kopf gingen, während sie ihre eigenen Gedanken noch einmal sortierte, um sich dann um die vor ihr liegende Aufgabe zu kümmern.
Was auch immer nun geschehen wird, es wird geschehen. Daran kann man jetzt nichts mehr ändern, und eigentlich hattest du ja von Anfang an darüber nicht zu entscheiden, Mädel. Statt also darüber zu sinnieren, was kommen wird, und dass Crandall einfach zu dämlich ist, genau das zu begreifen, denk doch lieber darüber nach, was sie im Augenblick gerade tut.
Eigentlich vermutete sie, dass Crandall gerade genau das tat wie sie selbst: Icons auf einem taktischen Plot anstarren. Natürlich waren Michelles eigene Daten ungleich besser als alles, was Crandall vorliegen konnte. Michelle hatte im gesamten Sonnensystem zahllose Überlicht-Ortungssatelliten positioniert, besonders im Volumen innerhalb der Hypergrenze - und dort vor allem in der Ekliptik. Derzeit erhielt ihr Plot die Daten von einer bestens getarnten Drohne, die weniger als eine Lichtsekunde von Crandalls Flaggschiff entfernt war. Und die gerichteten Übertragungen dieses Satelliten waren weniger als fünf Sekunden alt, wenn sie schließlich auf Michelles Display erschienen. Abgesehen von den tatsächlichen Impellersignaturen sämtlicher Schiffe der Zehnten Flotte waren die Daten, über die Crandall verfügte, mindestens fünf Minuten alt. Im Moment war das noch nicht von Bedeutung, aber sobald die ersten Raketen gestartet waren, würde es einen gewaltigen Unterschied machen.
Vielen Dank, Michael und Sir Aivars, dachte sie sardonisch. Und auch Ihnen herzlichen Dank, Admiral Hemphill.
Michelle warf einen Blick auf die Zeitanzeige. Fünf Minuten waren vergangen, seit ihre Schlachtkreuzer-Geschwader in den Normalraum zurückgekehrt waren. Crandall hatte ganz offensichtlich keine Ahnung, dass die Brenndauer von Michelles Raketen bereits jetzt ausreichen würde, sie zu treffen - vorausgesetzt, sie wäre bereit, zwischen dem Zünden des zweiten und des dritten Antriebs jeweils eine ballistische Phase von zweieinhalb Minuten einzulegen. Aber die Reichweite alleine entschied noch nicht über die Treffergenauigkeit. Und so wollte Michelle über diese Entfernung hinweg noch keine Vögelchen verschwenden, wenn es nicht absolut notwendig war.
Doch der Abstand zwischen Crandall auf der einen und Khumalo und Terekhov auf der anderen Seite nahm stetig ab. Und wenn er auf drei Lichtminuten zusammengeschrumpft war...
Noch etwa siebzehn Minuten, Admiral Crandall, dachte Vizeadmiral Gloria Michelle Samantha Evelyn Henke grimmig.
Noch siebzehn Minuten.
»Ich komme auf noch etwa siebzehn Minuten, Sir«, meldete Commander Pope leise. Aivars Terekhov nickte und blickte dann zu Commander Stillwell Lewis hinüber.
»Alpha-Start vorbereiten, Stilt.«
»Jawohl, Sir.«
Commander Lewis machte sich daran, Befehle einzugeben. Sobald diese Befehle die Schwärme von Gondeln erreichten, die mandcoranische Munitionsschiffe zurückgelassen hatten, aktivierten sich Traktorstrahler. Sie hefteten die einzelnen Gondeln an die Schiffe, die für ihre jeweilige Feuerleitung eingeteilt waren, beförderten sie aus dem Schatten des Planeten hinaus und brachten sie in Startposition. Als wäre das ein Signal gewesen - und genau das war es ja auch -, nahmen auch die LACs, die von den LAC-Trägern dort abgesetzt worden waren, ebenfalls neue Positionen ein. Wenn alles so verliefe wie geplant, würden diese LACs überhaupt nicht gebraucht werden, außer um hinterher ein wenig
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