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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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ersten Mal entschieden gegen das von ihr selbst aufgestellte Gesetz, ihre Hamelner Kindheit nie zu verleugnen oder zu verraten. Bemerkenswert, welchen Aufwand sie treibt und welche rhetorischen Haken sie schlägt, um ihre vier erfundenen Geschwister davon zu überzeugen, die Geschichte von der Breslauer Klavierlehrerin sei aus reiner Not geboren, einzig eine Folge ihres Mitleids mit einem Mann, »der nicht nur fürchterlich stottert, sondern vor allem entsetzlich an Heimweh leidet, das ist ganz deutlich aus seinem Gesicht zu lesen, vor allem aber in seinen Augen!«
    Gut möglich, dass Felicitas hier weniger den polnischen Matrosen als sich selbst meint. In den zahlreichen Folgebriefen, die sie zwischen New York und Adelaide nach Hameln schickt, gewinnt der stotternde Seemann zunehmend an Präsenz und wird im Lauf der Zeit nicht nur zum intimen Reisegefährten (so wird in einem der Briefe unter anderem vom gemeinsamen Rauchen am Heck während heimlichen Angelns berichtet und von einer ebenso heimlichen, weil streng verbotenen Zubereitung und Verspeisung der gemeinsamen Beute), sondern, mehr noch, zu einer Art Alter Ego, zu einem Sprachrohr für jene Beobachtungen und Empfindungen, die Felicitas sich selbst offenbar nicht in den Mund legen wollte. Bemerkenswert allerdings, dass er auch nach zehn Wochen gemeinsamer Fahrt immer noch keinen eigenen Namen trägt, sondern bis zum Schluss jener anonyme polnische Matrose bleibt, der »zwar angeln, aber kein Klavier spielen konnte«. Die Existenz des jungen Seemanns lässt sich anhand der Besatzungsliste der
Queen Adelheid
nicht nachweisen, was den Verdacht nahelegt, er habe womöglich gar nicht existiert.
    Ob Wirklichkeit oder Erfindung, sei dahingestellt. Fest steht, dass Hoppe dem Matrosen über zwanzig Jahre später in ihrem Roman
Pigafetta
in der Figur des Schiffsmechanikers Nobell ein unvergessliches Denkmal gesetzt hat, wenn sie in einem Kapitel mit dem Titel
Schule des Stotterns
schreibt: »Da wurde der Lehrer still und gefährlich, jetzt, sagte er, lehre ich dich, wie man wirklich spricht, und er schlug ihm flach mit der Hand in den Text, so dass, als er wieder sprechen sollte, alles zerfiel, die Wörter zu Silben und die Silben zu Buchstaben. Dann schickte er ihn nach Hause. Aber auf halbem Weg fiel ihm der ganze Text wieder ein, und er ging nicht nach Hause, sondern bestieg ein Schiff.« Und nur vierzehn Seiten später heißt es: »Wer steigt schon auf Schiffe? Ungelernte, Sträflinge, Stotterer, lauter Leute, die es an Land zu nichts bringen (…), die keine Frauen, aber überall Kinder haben und keine Briefe schreiben, weil sie kein einziges verständliches Wort zu Papier bringen, Dahergelaufene, die den Weg nach Hause nicht finden und zu Hause stumme Gäste sind.«
    Matrosen und die Seefahrt haben Hoppe nicht nur ein Leben lang begleitet, sondern in hohem Maße inspiriert. Dabei verfügt sie in ihren literarischen Arbeiten nicht nur (so lässig wie fahrlässig gleichermaßen) über die Weltmeere und das sie bereisende Personal, sondern ebenso über die endlosen Wälder Kanadas, das ewige Eis, den Niagarafall beiderseits (den sie nachweislich erst lange nach ihren kanadischen Jahren von der amerikanischen Seite aus besuchte), die Hügel des Weserberglands und später über die australische Wüste, den Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, ganz Sibirien und die Schweizer Viertausender.
    Schon früh entwickelte sie jenen Hang, sich die Welt, ihre Landschaft und deren Bewohner nicht nur literarisch anzueignen, sondern sie jederzeit rigoros ihren höchstpersönlichen Zwecken unterzuordnen. »Man möchte fast von einer Art Einebnung sprechen, von einer gespenstisch phantastischen Faulheit«, bemerkt so bewundernd wie missmutig der Kulturwissenschaftler Kai Rost in den frühen zweitausender Jahren. »Wir haben es hier nämlich mit einer Autorin zu tun, die offenbar nicht gern liest und davon ausgeht, immer und überall die Erste zu sein. Womit nicht nur das Kartenlesen, sondern das Lesen ganz allgemein gemeint ist. Ganz zu schweigen davon, dass diese Autorin nicht den geringsten Sinn für die Natur besitzt und, davon abgesehen, andauernd und ausdauernd glaubt, sie sei nicht nur auf dem Meer allein, sondern müsse auch das Festland mit niemandem teilen. Zu dumm, dass da noch ein paar andere sind, von denen die meisten viel besser wissen, wie viele Möglichkeiten es gibt, sich zu seiner Umgebung in ein Verhältnis zu setzen. Bei Hoppe dagegen wird man, ob man will

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