Hoppe
immerhin eine kurze Bemerkung darüber, dass seine Tochter nach der Überquerung des Äquators etwas stiller geworden sei und die Abende nicht mehr an Deck, sondern entweder mit Kramer auf der Brücke oder lesenderweise bei Small in der Kapitänskajüte verbracht habe.
Dass der Vater sich zu irgendeinem Zeitpunkt der zehnwöchigen Reise ernsthaft Sorgen um seine Tochter gemacht hätte, ist seinen Aufzeichnungen nicht zu entnehmen, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass Karl Hoppe nicht nur unter Flugangst, sondern auch unter der Seekrankheit litt und demzufolge wenig Anteil an den äußeren Geschehnissen der Reise nahm, während Felicitas diese Krankheit ganz offenbar nicht von ihrem Vater geerbt hatte.
»Nur das Meer lehrt uns, zu essen, was auf den Tisch kommt, ohne ein einziges Wort zu verlieren«, schreibt Hoppe in einem anderen Essay mit dem Titel
Wie man essen und sprechen lernt
( 2009 ), der ihr einen weiteren der unzähligen Tadel ihres wahrscheinlich treuesten Kritikers Reimar Strat einbringt, der in einer Besprechung
(Schreiben bei Seegang)
bemerkt: »Danke, Frau Hoppe. Ein weiterer Aphorismus der Sorte, und ich gebe endgültig auf!« Aber ungerührt fährt sie fort: »Wo sonst sind wir von so viel Appetit bei so viel Stummsein umgeben?«
Auch das klingt, wie meistens bei Hoppe, wesentlich dramatischer, als es in Wirklichkeit ist. Zutreffend ist allerdings, dass Felicitas, wie Small und Kramer unabhängig voneinander und nicht ohne ein gewisses Erstaunen vermerken, »tatsächlich alles isst, was auf den Tisch kommt« (Kramer), und das »nicht nur ohne Klagen, sondern sogar mit großem Genuss, obwohl wir schon bessere Köche an Bord hatten. Besonders gern isst sie Fleisch. Auch sonst isst sie alles, bei Wind und Wetter, selbst bei Sturm und sehr hohem Seegang, wenn nicht nur ihr Vater, sondern auch einige von uns längst nicht mehr zu den Mahlzeiten erscheinen« (Small). Sowenig der Seegang Felicitas vom Essen abhielt, so wenig hielt sie das Essen vom Sprechen ab, ganz im Gegenteil sprach sie beim Essen besonders gern, weil sie dort ein sicheres Publikum hatte, dass selten vor dem Dessert die Messe verließ. »Beim Essen spricht sie«, notiert Kramer, »tatsächlich ununterbrochen, eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass es ihr trotzdem gelingt (sie ist bemerkenswert gut erzogen und hat tatsächlich so etwas wie Manieren), niemals mit vollem Mund zu sprechen.«
Während Felicitas in der Kabine mit ihrem Vater (auch auf See blieb ihr sprachlicher Geheimbund bestehen) ausschließlich Deutsch spricht, parliert sie in der Messe auf Englisch, hin und wieder streut sie auch gern französische Brocken ein, »um sich ein bisschen großzutun«. Den größten Eindruck hinterlässt sie aber mehr oder weniger unfreiwillig, als sie nach der Durchquerung des Panamakanals und der damit überstandenen Taufe (bei der sie selbstverständlich niemand in ein vernageltes Fass steckte) plötzlich Polnisch zu sprechen beginnt. Ein polnischer Matrose hatte sie, vermutlich mehr mit Gesten als Worten und angeblich schwer stotternd, darauf angesprochen, ihr linker Schuh sei schlecht geschnürt, was auf dem frisch gewischten Deck ein Sicherheitsrisiko darstelle.
»Und was soll ich Euch sagen?«, schreibt sie an ihre Geschwister, »auf einmal höre ich, wie ich Polnisch spreche, ja, plötzlich spreche ich wirklich Polnisch, mit meiner eigenen Stimme, als hätte ich nie etwas anderes gesprochen, was dem Matrosen nicht komisch vorkommt, stattdessen beginnt sein Gesicht zu leuchten, dann fragt er mich, woher ich komme, was dauert, weil er fürchterlich stottert. Und weil ich es nicht übers Herz bringen kann, ihm die ganze Wahrheit zu sagen (dann hätte ich nämlich sagen müssen, ich komme aus Hameln, und er hätte doch gar nicht gewusst, wo das liegt), sage ich einfach, ich komme aus Breslau (Wrocław), und meine Mutter ist Klavierlehrerin und wird vermutlich in Russland berühmt, wo sie gerade auf Tournee ist. Und der Matrose reißt beide Augen auf, ganz groß, will was sagen und kriegt es nicht raus, bewegt stattdessen nur seine Hände, weshalb ich ihn frage, ob er Klavier spielt, aber er schüttelt den Kopf. Also bewege ich auch die Hände und sage schnell, dass ich beides beherrsche, Klavier aber besser als Polnisch. Da hat er zum ersten Mal gelacht.«
Die Episode mit dem polnischen Matrosen auf der
Adelheid
ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, verstößt Felicitas hier doch nach knapp zehn Jahren zum
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