Hoppe
jedenfalls die Russen, sowieso viel schöner, das Spielfeld nicht so lächerlich eng, sondern groß wie ein anständiges Fußballfeld, die Mannschaft auf elf statt auf sechs gerechnet, und das Tor nicht so mickrig, stattdessen richtige Tore für richtige Männer, so dass man nicht immer den Kopf einziehen müsse. Und keine Mätzchen hinter dem Tor, kein Büro auf dem Eis (gemeint ist »Gretzky’s office«/fh), von wo aus man ohnehin ständig nur täusche und den Gegner mit plumpen Bauerntricks foppe. Vor allem aber sei Bandy weit besser, weil der Puck kein Puck, sondern, wie es sich für jedes ernsthafte und ehrliche Spiel gehöre, ein Ball sei, mit einem Kern aus Kork, leuchtend gelb oder rot. Und schließlich sei, so ein gewisser Wladimir Grushenko (Zweiter Maschinist), was ja wohl jeder Seemann wisse, die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel, mit anderen Worten ein Ball, und wer immer noch glaube, mit einer Scheibe spielen und gewinnen zu können, bleibe hoffnungslos hinter allem zurück, was die Menschheit seit Jahrhunderten wisse.
Woraufhin Felicitas, so Kramer weiter, ihren Puck aus der Tasche gezogen habe ( NHL /National Hockey League/fh), um zu demonstrieren, dass, »die Erde hin und Bandy her«, eine Hartgummischeibe bei einem Spiel an Deck weit besser zu handhaben sei als ein Ball und sich, besonders bei hohem Seegang, den Bewegungen des Schiffes um Längen besser anpasse. Offenbar aber, habe sie polemisch geschlossen, sei man hier gar nicht am Spiel interessiert, weder an Hockey noch an Bandy, nicht einmal an Shinty (eine weitere Variante des Eishockeyspiels/fh), weder am Kämpfen noch am Gewinnen, was den Verdacht in ihr aufkommen lasse, die Mannschaft sei schlicht und einfach feige und fürchte sich vor dem Verlieren, wofür sie (Felicitas) übrigens vollstes Verständnis habe, denn so ergehe es schließlich fast jedem im Angesicht des übermächtigen Ozeans.
Kramers Beschreibung ist gewissermaßen als eine Art Übersetzung der geschilderten Ereignisse zu lesen, denn die Debatte um Ball oder Puck, so der Offizier weiter, die sich die ganze Reise über fortgesetzt und dabei in eine Art wilde Hitzigkeit hineingesteigert habe, sei hauptsächlich in einem ziemlich verwirrenden Kauderwelsch ausgetragen worden, untermalt von einer abenteuerlichen Zeichensprache und unter Zuhilfenahme eines breitgefächerten Repertoires von Requisiten. So habe, nachdem man die eine oder andere Formation mit Stöcken und Stangen und unter Zuhilfenahme von Bierdosen und Eimern an Deck nachzustellen versucht habe (wegen des hohen Seegangs allerdings mit geringem Erfolg), der geduldige Grushenko Felicitas anhand diverser Zeichnungen immer wieder klarzumachen versucht, was es mit Erde und Scheibe auf sich habe und dass ihre Argumente nicht stichhaltig seien. Aber Felicitas habe eisern gegengehalten, was Grushenko schließlich in eine tiefe Unruhe versetzt haben soll.
So richtig aufregend sei es aber erst geworden, als Felicitas eines Abends, kurz vor der Äquatortaufe, die gefährliche Position des Torwarts ins Spiel gebracht und dessen Rolle damit attraktiv zu machen versucht habe, dass sie »freie Maskenwahl für alle« versprochen habe. »Womit sie sich«, so Kramer, »ahnungslos ins eigene Fleisch schnitt, weil die Matrosen, die, was die Äquatortaufe betrifft, einen ausgeprägten Sinn für Masken und Scherze besonderer Art haben, die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und auf ihre Art Rache an der kleinen kanadischen Nervensäge nahmen, indem sie, allesamt mit Neptunmasken und Dreizack versehen, Felicitas über das gesamte Schiff jagten, wobei sie, dem Anlass entsprechend schon etwas haltlos, eine lange Ankerkette schwenkten und in mehr als nur einer Sprache wilde Drohungen ausstießen, mit denen sie ankündigten, man werde den Gegner aus Kanada schon erwischen und noch in dieser Nacht mindestens dreimal barbieren, ihm das Maul mit rohem Fisch stopfen und danach in ein dreifach vernageltes Fass stecken und untertauchen.«
»Der Seemann reist auf höchst beweglichem Eis und führt seinen eigenen Schläger«, kommentiert Hoppe dieses einschneidende Erlebnis zwanzig Jahre später in ihrem Essay
How to exercise on the Ocean
. (In deutscher Übersetzung unter dem missverständlichen Titel
Wie man das Weltmeer trainiert
erschienen.) Auch wenn Hoppes essayistische Bemerkungen ebenso wie Kramers Erzählung vermutlich eher in den Bereich des gehobenen Seemannsgarns zu verweisen sind, findet sich in Karl Hoppes Aufzeichnungen
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