Hoppe
bin mir sicher, dass man selbst hier, in der musikalischen Wüste, eines Tages begreifen wird, dass Zäune mehr als nur Zäune sind und dass man sie sogar aufführen kann, sofern man weiß, wie musikalisches Anstreichen geht.« Auf Viktors ironische Nachfrage (die sich nur aus Hoppes Briefen erschließen lässt, da Felicitas seine Antwortbriefe nicht aufhob), ob sie wirklich wisse, »wie man Zaunfarbe in Musik setzt«, antwortet sie, sie verfüge zwar nicht über den berühmten Schein aus Mels Dirigentenklasse, immerhin aber über ein Vordiplom in Klavier und Komposition, das »mich seit Monaten redlich ernährt und mit dem ich mich in diesem Land patenter Agenten jederzeit über Wasser halten kann«.
Und doch spricht aus jeder Zeile ihrer Briefe neben radikaler Selbstbehauptung vor allem leise Verzweiflung, das klare Wissen darum, dass sie aus reinem Trotz unterwegs ist und »dass aus mir niemals mehr werden kann als ein Gastdirigent. Für alles andere, das wusste schon Quentin, fehlen mir einfach Fleiß und Geduld, ein Orchestererzieher, wie du es bist, wird aus mir nie werden. Man wird mich immer und einzig dafür lieben, dass ich nur auf der Durchreise bin und dass ich, nachdem wir Spaß gehabt haben, meinen Rucksack nehme und wieder verschwinde, der einzige Grund, warum Gastdirigenten weltweit so beliebt sind.«
Hoppe weiß, schmerzlich genug, sehr genau, dass sie im ständigen Unterwegssein vollkommen allein ist, »so allein, dass ich mich«, wie sie übrigens nicht ohne Stolz bemerkt, »gezwungen sehe, demnächst wohl doch noch einen Führerschein zu machen, weil mich die Grauen Hunde (gemeint sind vermutlich die US -amerikanischen Greyhound Busse/fh) unendlich ermüden, immer trifft man auf Leute, die man lieber nicht treffen möchte, ständig schläft man an der falschen Schulter ein«.
Sie, die ihr Leben lang »eine so begeisterte wie höchst talentierte Beifahrerin war, die sich niemals beschwerte, weil sie selbst eine miserable Autofahrerin war« (Viktor Seppelt), hat allerdings nachweislich nie einen amerikanischen Führerschein besessen, sondern lediglich eine im Spätsommer 1984 erworbene »Driving Permit« (ausgestellt vom
Motor Vehicle Department
in Topeka/Kansas), die das Fahren nur in Begleitung eines Mitfahrers mit vollgültigem Führerschein vorsieht. In wessen Begleitung sie unterwegs war, wissen wir nicht, und dass sie Hannibal wirklich einen Besuch abgestattet hat, lässt sich einzig durch einen auf den 24 . 11 . 1984 datierten Eintrag im Gästebuch des
Mark Twain Home
nachweisen, das Hoppe mit dem interpretationsbedürftigen Vermerk versieht: »Thanks for learning a lesson.« (»Wieder mal was dazugelernt.«) Welche Lektion sie in Hannibal gelernt hat, lässt der Eintrag ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, ob
The Singing Fence
jemals musikalische Wirklichkeit wurde, und, was weit schwerer wiegt, die Antwort auf die Frage, in wessen Begleitung Hoppe ihren Weg von Osten nach Westen tatsächlich zurückgelegt hat.
Am Vorabend des 22 . 12 . 1984 erreicht Felicitas, in welchem Kostüm und in wessen Begleitung auch immer, »die schönste und prächtigste Stadt der Welt, etwas Schöneres habe ich nie gesehen. Denn für den, der auf eigene Faust und ohne Wasser und Brot, ohne körperlichen und geistigen Beistand (also ohne jede menschliche Seele) das Tal der Toten (gemeint ist vermutlich
Death Valley
/fh) durchquert hat, kann es nichts Schöneres und Größeres geben als das, was sich hier plötzlich vor meinen Augen auftut: ein unendliches Meer aus Lichtern und Glanz unter einem überhitzten Himmel über schnurgeraden Straßen, wie geschaffen für die größten Paraden der Welt, gesäumt von Cäsarenpalästen mit Marmortreppen, die unmittelbar in den Himmel führen, flankiert von herrlichen Säulen, auf denen riesige Vögel sitzen, deren Lieder mehr sind als bloßer Gesang, eher ein machtvolles Schmettern, als hätte man alles, was auf der Welt singt oder pfeift oder Musik machen kann, auf einen großen ewigen Dienst verpflichtet.
Denn natürlich dürfen sie niemals ruhen, diese Vögel, auch nicht die Sterne, sie dürfen einfach nie untergehen, noch im Zustand der allergrößten Erschöpfung müssen sie leuchten. Genau wie die Seen, auf denen unsterbliche Schwäne schwimmen, während die staunenden Gäste nicht müde werden, sie mit Nüssen und Keksen zu bewerfen, obwohl sie eigentlich wissen sollten, dass man Schönheit nicht satt machen kann. Weil hier die Schönheit nicht
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