Hoppe
war.
Ein Defizit, das als künstlerische Unabhängigkeit und Eigenwilligkeit zu überhöhen oder ganz einfach pragmatisch umzumünzen ihr niemals gelang, was ein weiterer Grund dafür ist, dass aus ihr nie eine erfolgreiche Geschäftsperson wurde. Anstatt aus ihrer Kompromisslosigkeit Kapital zu schlagen, schämte sie sich, wenn sie Aufträge aus blanker Ehrlichkeit ausschlug, weil sie sich ihnen, in der Mehrheit der Fälle, nicht gewachsen fühlte. Dass ihr Draufgängertum bisweilen nichts als verzweifelte Pose war, haben wir bereits oben gezeigt, auch wenn sie in ihren wenigen Briefen an Viktor nicht müde wird zu behaupten, sie könne sich »vor Aufträgen kaum retten«. So habe man ihr zum Beispiel, nach ihrer erfolgreichen Tätigkeit in Chittenangos Maske, angetragen, eine Biographie über Frank Baum zu schreiben, »ein Angebot, das nicht nur gutdotiert, sondern auch höchst verführerisch ist und dem ich nur deshalb nicht nachgehen kann, weil ich seit meiner Ankunft in diesem Land vollauf damit beschäftigt bin, endlich zu tun, was ich schon immer tun wollte, nämlich in aller Ruhe eine Biographie über Karl zu schreiben« (
Buch K
/fh). Allerdings gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass jemals ein solches Angebot an Hoppe ergangen wäre.
Der nächste an Viktor adressierte Brief, abgestempelt im Oktober in Dixville Notch (New Hampshire), enthält den höchst zweifelhaften Bericht über eine Tätigkeit als »Wahlhelferin«, bei der, schreibt Hoppe, »mir meine Erfahrungen als Parade- und Maskenspezialistin in jeder Hinsicht zugutekommen«. Dass die durch und durch unpolitische Hoppe sich im US -amerikanischen Wahlkampf 1984 (mit dem Ergebnis der Wiederwahl des Präsidenten Ronald Reagan/fh) in politischen Angelegenheiten eines ihr überdies vollkommen fremden Landes engagiert haben sollte, und sei es auch nur als parteilose Kostümbildnerin, erscheint noch um Längen abwegiger als die Idee, eine Biographie über Frank Baum zu verfassen, und ist in erster Linie vermutlich eine genauso schlechte Erfindung wie ihr Bericht über die Gründung einer
Agentur für Alles
mit dem schönen Namen
Pied Piper & Partners
(
Rattenfänger & Partner
).
Zwar trägt der Brief an Viktor im Briefkopf tatsächlich einen flötespielenden Rattenfänger (gefolgt von drei tanzenden Ratten, die kleine Kronen tragen!), eine Adresse weist er allerdings nicht auf. Der Text hingegen ist aufschlussreich: »Alle«, schreibt Felicitas, »wollen mich haben, allen voran Politiker und Künstler natürlich, was sich vermutlich der Tatsache verdankt, dass man in diesem Land immer alles in einer Person ist: Politiker, Schauspieler, Erfinder, in anderen Worten, Ratte und König in einem. Hat man das erst einmal begriffen, wird man auf Jahre hin nicht mehr arbeitslos sein.«
Es ist der erste und letzte Brief, der den Rattenfänger und seine drei gekrönten Ratten im Briefkopf trägt, dem kurz darauf eine großformatige Postkarte folgt, die die Niagarafälle (amerikanische Seite) zeigt und in den für Hoppe so typisch ausladenden Schriftzügen weit über die Ränder hinaus den folgenden Text trägt: »Lieber Viktor, endlich weiß ich, wie ein Wasserfall redet. Das Schauspiel ist imposant. Gruß an Mel. Best, Wicketoo.« Mit selber Post gehen sieben weitere Karten ab: Eine an Wayne (»Dear 99 , bin bei Euch um die Ecke und grüße herzlich, Fly«), eine an Phyllis (»Der Wasserfall macht das Rauchen unmöglich!«), eine an Joey (»Auch wenn Du das hier nicht lesen kannst: Grüße an Wicket von Wicketoo«), eine an Lady Ayrton (»Grant’s Children grüßen, F.«), eine an Quentin (»Ein Wasserfall wie eine Orgel! Best, F.«), eine nach Hameln (»Alle Ratten ertrunken!«) und, überraschend genug, eine Karte an Maria Siedlatzek (»Wo auch immer Du steckst, ich werde Dich finden!«)
In ihrem nächsten und vorerst letzten Brief an Viktor dagegen, abgeschickt Ende November aus Hannibal (Missouri), wo der Schriftsteller Mark Twain seine Kindheit verbrachte, ist vom
Pied Piper
nicht mehr die Rede, stattdessen legt Hoppe ausführlich ihre Idee dar, sich einen langgehegten Traum zu erfüllen und endlich ein Musical über Tom Sawyer (
The Singing Fence/Der fröhliche Anstreicher
) zu schreiben, selbstverständlich nach einem von ihr selbst verfassten Libretto, »das schon seit Jahren vor meinem geistigen Auge steht. Jetzt, da ich Toms Zaun endlich mit eigenen Augen und zum Anfassen nah vor mir sehe, nimmt die Sache deutlich Gestalt an, und ich
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