Horasia (German Edition)
ließ er den Blick über die unzähligen Vitrinen schweifen, in denen seine kostbarsten Stücke lagen. Der größte Teil seiner Sammlung befand sich im Saal in der Mitte des Hauses oder im Keller.
Er setzte sich wieder in seinen großen Ledersessel und öffnete sein Notebook.
Wie fast immer, wenn er das Internet nutzte, ging es um die Erweiterung seiner Sammlung. Auf einer wenig seriös wirkenden russischen Seite entdeckte er mehrere antike Schriftrollen, die zum Verkauf standen. Der Beschreibung nach handelten sie von einer vergessenen Entdeckungsreise der Römer nach Amerika.
Ein wirklich interessantes Stück für meine Sammlung , dachte Gerhard.
Als er die Bilder vergrößerte, wurde er allerdings enttäuscht. Es handelte sich eindeutig um eine Fälschung. Eine sehr schlechte noch dazu. Zwar war das Latein des Fälschers gut, doch die Jahreszahl war mit anno domini 134 angegeben. Der Fälscher hatte anscheinend nicht gewusst, dass diese Zeitrechnung erst Jahrhunderte nach der angeblichen Herstellung der Schriftrollen gebräuchlich wurde.
Enttäuscht schloss Gerhard die Seite. Interessanter war hingegen die Seite, auf der von einer Auktion berichtet wurde, wo das angebliche Schwert des walachischen Fürsten Vlad III angeboten wurde. Es war allgemein bekannt, dass dieser historische Herrscher den Autor Bram Stoker zu seiner Romanfigur Dracula inspiriert hatte.
Auch hier wusste Gerhard es besser. Zwar wusste er von der Existenz von Vampiren, doch ebenso sicher war es, dass der historische Dracula nie zu einem hätte werden können. Es war allgemein bekannt, dass er in seiner letzten Schlacht enthauptet wurde. Trotzdem war das Schwert als historisches Artefakt auf jeden Fall einen Blick wert. Geld hatte er schließlich mehr als genug.
Plötzlich kam Bagru ins Wohnzimmer geflogen. "Herr, da ist ein ... Wesen, das mit ihnen sprechen möchte. In der Ausstellungshalle."
"Was ist es und wie ist es dort hineingekommen?"
"Ich habe keine Ahnung, Herr."
Gerhard stöhnte und erhob sich. Konnte er heute nicht einfach in Ruhe im Internet surfen? Trotzdem musste er nachsehen, um was für einen Gast es sich handelte.
Zur Sicherheit nahm er die magische Lanze von ihrer Wandhalterung, die er vor einigen Monaten ersteigert hatte. Aus der Spitze der Waffe konnte er tödliche Energieblitze schießen. Mit dieser Waffe in der Hand fühlte er sich sicherer.
Langsam, die Lanze erhoben, ging er in den Saal.
Dank dem gewölbten Glasdach war es in dem großen, runden Raum angenehm hell, sodass er das Licht nicht einzuschalten brauchte. Auch hier standen Vitrinen an den Wänden, in denen sich noch weitere Sammlungsstücke befanden.
Er suchte nach dem ungebetenen Gast. Zuerst sah er nichts ungewöhnliches, doch dann entdeckte er die unscharfen Konturen eines humanoiden Körpers in der Mitte des Saales.
"Du bist Gerhard Colleck, nicht wahr?", fragte das Wesen.
"Wer bist du?", fragte Gerhard zurück.
"Mein Name ist unwichtig; ich habe ihn schon vor Jahrhunderten abgelegt. Meine Untergebenen kennen mich gewöhnlich nur als Der Meister ."
"Das ist ja schön, Herr Meister. Aber ich hätte drei Fragen an sie: Was sind sie? Was wollen sie? Wie sind sie hier hineingekommen?"
"Erst einmal zur ersten Frage. Es geht dich nichts an, wer, beziehungsweise was meine richtige Identität ist. Das ist im Übrigen auch nicht mein echter Körper.
Wie eine Astralprojektion, nur weitaus stärker. Das ist auch der Grund, warum mich deine Verteidigungsanlagen nicht aufgehalten haben. Und pack bitte diesen Speer weg. Du kannst mich damit nicht verwunden. Und es sieht so aggressiv aus. Aber ich will dich beruhigen. Wenn ich dich hätte töten wollen, dann hätte ich es schon längst getan."
"Das soll mich beruhigen? Dass ein Wesen in meinem Haus steht, das über meine Verteidigungsanlagen nur lacht und das ich nicht einmal verwunden könnte? Und warum duzen sie mich eigentlich?"
"Letzteres ist keinesfalls persönlich gemeint. Da, wo ich herkomme, gelten in dieser Hinsicht andere Regeln. Und außerdem lache ich nicht über deine Verteidigungsanlagen. Überhaupt lache ich nur sehr selten. Ich verfolge all meine Ziele mit kalter Präzision. Ich glaube, in der Hinsicht sind wir uns sehr ähnlich. Aber nun zum Zweck meines Besuches. In kurzer Zeit, möglicherweise noch heute, wirst du erneut besucht werden. Ob sie einbrechen oder versuchen, dein Vertrauen zu erwerben, weiß ich nicht. Fakt ist, dass sie hinter einem oder zwei deiner Artefakte her sind.
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