Horasia (German Edition)
"Liest du jeden meiner Gedanken?"
"Manche. Je nach Intensität der Gefühle steigt natürlich mein Interesse. Und deine Gefühle gegenüber mir sind wirklich interessant."
"Meine Gefühle?"
"Möglicherweise weiß es dein Bewusstsein noch nicht wirklich. Aber die Gefühle sind zweifellos vorhanden. Bloße Emotionen sind am leichtesten zu lesen. Das konnte ich schon mit sechs Jahren. Aber lass uns das Thema auf nach der Mission verschieben, okay? Schließlich ist noch nicht klar, ob wir überhaupt überleben. Bis dahin kannst du deine Gefühle noch näher erforschen. Aber ich warne dich. Bisher hat es noch keiner lange in einer festen Beziehung mit mir ausgehalten. Die Gründe kannst du dir denken."
Calan war verwirrt. "Das war ein recht einseitiges Gespräch."
"Das kommt auf den Blickwinkel an. Aus meiner Sicht hast du mir weitaus mehr erzählt als ich dir."
Calan antwortete nicht mehr und versuchte, einzuschlafen.
Das Gespräch ging ihm allerdings nicht mehr aus dem Kopf. Obwohl er permanent versuchte, sich eine öde Mauer vorzustellen, um Sina daran zu hindern, wieder seine Gedanken zu lesen, musste er immer wieder an ihre Worte denken. Waren da wirklich stärkere Gefühle für sie? Wenn er versuchte, sie mit wenigen Worten zu beschreiben, fielen ihm zwar zuerst attraktiv und intelligent ein, allerdings dicht gefolgt von beängstigend, unheimlich und absolut-keine-Privatsphäre-kennend.
Über der Frage, ob letzteres ein grammatikalisch korrektes Adjektiv ist, schlief er schließlich ein.
„Wo ist der Schlüssel?“
Calan schreckte auf. In der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen, doch augenscheinlich stand eine humanoide Gestalt vor seinem Bett.
„Wer ist da?“, fragte er verwirrt.
Die dunkle Gestalt machte einen Schritt in seine Richtung. „Wo ist der Schlüssel für das Portal?“
Instinktiv fasste sich Calan an den Hals, wo noch immer die Kette mit dem Schlüssel hing. Eigentlich hatte er ihn Lukhan zurückgeben wollen, war aber noch nicht dazu gekommen.
„Was ist jetzt los?“, hörte er Sina, die anscheinend auch gerade aufgewacht war.
„Da ist jemand, der nach dem Schlüssel fragt.“
„Gib mir den Schlüssel“, sagte die finstere Gestalt. „Er ist eine zu große Gefahr für euch Sterbliche.“
„In welcher Weise? Warum sollte ich ihnen den Schlüssel aushändigen?“
„Es ist mein Auftrag.“ Kurz sah Calan zwei rote Augen in der Dunkelheit aufleuchten.
Plötzlich wurde die Zimmertür aufgerissen und Rehson stürzte herein.
„Sina, warum hast du...“
Er brach den Satz ab, als er die Person in der Mitte des Raumes sah. Im Licht, das durch die offene Tür hereinfiel, ließ sie sich eindeutig erkennen. Augenscheinlich handelte es sich um einen Menschen, der einen langen, schwarzen Mantel und einen Hut trug. Die Augen des Fremden leuchteten noch immer.
„Umburor“, stellte Rehson fest. „Was machst du auf diesem Schiff, Dämon? Arbeitest du für Codoneb?“
„Das tue ich mit Sicherheit nicht. Ich will nur den Schlüssel. Der Meister hat mir befohlen, ihn zu besorgen. Solltet ihr ihn mir nicht freiwillig übergeben, werde ich ihn mir mit Gewalt nehmen.“
Rehson griff zu seiner Pistole, die wie immer in einem Holster an seinem Gürtel hing.
Der fremde Dämon sprang nach vorne. Im Sprung schienen seine Umrisse zu verschwimmen, sodass er eher einer Wolke aus Finsternis ähnelte.
Sofort riss Rehson seine linke Hand nach oben und schlug sie dem Wesen ins Gesicht. Als der Dämon zurückwich, zog er sein Schwert aus der Scheide.
„Lass uns in Ruhe oder ich befördere dich sofort zurück in den Äther!“, drohte er.
Der Dämon zischte. Den kurzen Moment der Ruhe nutzte Rehson, um mit der anderen Hand die Pistole zu ziehen und zwei schnelle Schüsse abzufeuern.
Beide Projektile trafen den Dämon in die Brust. Nach einem erneuten Zischen verwandelte sich der Dämon wieder in eine Wolke aus Dunkelheit und glitt aus dem Raum.
„Was war das?“, fragte Calan.
„Ein Dämon der Gattung Umburor. Diese Wesen nehmen stets die Gestalt einer einheimischen Spezies an, in diesem Fall die eines Menschen. Allerdings tragen sie ausnahmslos schwarze Kleidung, oftmals auch mit Hut. Es handelt sich um verhältnismäßig schwache Dämonen, doch einem gewöhnlichen Sterblichen sind sie zweifellos noch überlegen. Wenn Sina mich nicht telepathisch alarmiert hätte, wäre er vermutlich mit dem Schlüssel entkommen.“
„Er sagte, dass er für den Meister arbeitet“, sagte Sina.
Weitere Kostenlose Bücher