Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
überlassen.
»Wer ist der älteste Seemann unter euch?« fragte er schroff, damit seine Stimme auf keinen Fall Unsicherheit verriet.
»Matthews, Sir«, ließ sich endlich einer vernehmen und deutete mit dem Daumen auf den bezopften, tätowierten Matrosen, auf den er im Kutter gefallen war.
»Schön, ich befördere Sie hiermit zum Unteroffizier. Machen Sie sich sofort an die Arbeit und klarieren Sie die Wuhling im Vortopp. Ich habe jetzt hier achtern zu tun.«
Hornblower durchlebte wieder eine unruhige Sekunde, aber Matthews legte gehorsam die Fingerknöchel an die Stirn.
»Aye, aye, Sir«, sagte er schlicht, als wenn es sich um etwas ganz Selbstverständliches handelte.
»Bergen Sie vor allem den Klüver, ehe er ganz in Fetzen fliegt«, sagte Hornblower jetzt schon wesentlich kühner.
»Aye, aye, Sir.«
»Dann also an die Arbeit.«
Der Seemann wandte sich nach vorn, Hornblower ging auf das Achterdeck. Dort nahm er den Kieker aus seinen Klampen an der Reling und suchte die Kimm ab. Weit in Luv entdeckte er die Marssegel der Indefatigable , die den Rest des Geleitzuges verfolgte. Es dauerte nicht mehr lange, dann war er allein auf der weiten See, dreihundert Seemeilen von England.
Dreihundert Meilen, das waren bei gutem Wind zwei Tage Fahrt; wie viele Tage konnten aber daraus werden, wenn ihn der gute Wind im Stich ließ?
Als er den Kieker gerade wieder an seinen Platz legte, kam Matthews nach achtern gerannt und fuhr wieder ehrerbietig mit den Knöcheln an die Stirn.
»Entschuldigung, Sir, aber wir werden Rahtakel anschlagen müssen, um die Rah neu einzustroppen.«
»Schön.«
»Dazu brauchen wir aber mehr Leute, als wir sind, Sir.
Könnte ich vielleicht ein paar von den Frenchies dazu anstellen?«
»Meinetwegen, wenn Sie glauben, daß die Kerle zu gebrauchen sind. Sind sie nicht alle stockbetrunken?«
»Ich komme schon mit ihnen zurecht, Sir, nüchtern oder betrunken.«
»Gut, ich bin einverstanden.«
Während Matthews nach vorn ging, begab sich Hornblower unter Deck, um dort Umschau zu halten. In der Kapitänskajüte fand er einen Kasten mit ein paar Pistolen, daneben hing eine Pulverflasche und ein Kugelbeutel. Hornblower lud beide Pistolen und schüttete bei seiner eigenen neues Zündpulver auf, dann erschien er mit allen drei Pistolen im Koppel wieder an Deck, als seine Leute eben mit sechs von den Franzosen aus dem Logis auftauchten. Er postierte sich auf dem Achterdeck, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und versuchte auf diese Art, den Eindruck eines Mannes zu machen, der sich jeder Lage gewachsen fühlt und daher alles mit größter Ruhe an sich herankommen läßt. Als die Rahtakel erst angeschlagen waren und das Gewicht von Rah und Segel aufnahmen, war die Hauptsache geschafft, es bedurfte dann nur noch einer guten Stunde harter Arbeit, bis die Rah wieder sachgemäß eingestroppt war und das Vormarssegel gesetzt werden konnte.
Erst als das Werk schon fast so weit gediehen war, erwachte Hornblower aus seinem Tagtraum und besann sich darauf, daß er ja in wenigen Minuten einen Kurs befehlen mußte. Er stürzte also wieder nach unten, um Karte, Zirkel und Parallellineal zurechtzulegen, dann kramte er den zerknüllten Zettel mit dem Schiffsort aus der Tasche, beugte sich über die Karte und trug den Punkt nach Länge und Breite ein. Von da aus setzte er seinen Kurs ab, wie er es gelernt hatte. Es war ein seltsam unbehagliches Gefühl, sich sagen zu müssen, daß aus den bloßen Übungen, bei denen man sich in Obhut Mr. Soames' so sicher fühlte, nun plötzlich bitterer Ernst geworden war, weil es bei dieser Aufgabe nicht nur um das Resultat, sondern womöglich um sein Leben und seinen Ruf als Seemann ging. Er überprüfte also seine Arbeit nochmals mit großer Sorgfalt, entschied sich nach reiflicher Überlegung für den zu steuernden Kurs und schrieb ihn gleich auf einen Zettel, damit ihm sein Gedächtnis keinen Streich spielen konnte. Als die Vormarsrah wieder glücklich an ihrem Platz hing, die Franzosen in ihr Logis getrieben waren und Matthews weitere Befehle heischend achteraus kam, war er gerade fertig geworden.
»Wir wollen vierkant brassen«, sagte er, »schicken Sie einen Mann ans Ruder.« Er griff an den Brassen selbst mit zu, der Wind hatte inzwischen etwas nachgelassen, und er hatte den Eindruck, daß seine Leute mit der Brigg gut fertig wurden, ohne daß er Segel kürzte.
»Welcher Kurs soll gesteuert werden, Sir?« fragte der Rudergänger.
Hornblower griff in die
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