Hornblower 01 - Fähnrich zur See Hornblower
herumzurennen.
»Jeder bleibt, wo er ist, verflucht noch mal!« stieß Hornblower wütend und heiser vor Aufregung hervor.
An Steuerbord, kaum eine Kabellänge entfernt, war ein riesiger Dreidecker aus dem Nebel aufgetaucht, der auf Parallelkurs neben ihnen herlief. Voraus und an Backbord unterschied man die schattenhaften Umrisse anderer Kriegsschiffe. Wenn sie jetzt die Aufmerksamkeit des Gegners auf sich zogen, dann gab es keine Rettung mehr. Es blieb ihnen also nur der Ausweg, weiterzusteuern wie bisher und so zu tun, als hätten sie das gleiche Recht hier zu sein wie die Linienschiffe. Bei dem verlotterten Dienstbetrieb in der spanischen Marine war es immerhin denkbar, daß der Wachhabende Offizier da drüben nicht wußte, ob eine Sloop wie Le Reve zu seiner Flotte gehörte oder nicht. Vielleicht - das wäre allerdings ein Wunder gewesen - gab es bei diesem Verband sogar ein Fahrzeug ähnlicher Art. Le Reve stammte immerhin aus Frankreich und war auch nach französischer Art getakelt.
Jetzt glitt das kleine Schiff Seite an Seite mit dem riesigen Linienschiff über die träge auflaufenden Seen. Es befand sich in Kernschußweite von fünfzig schweren Geschützen, ein einziger gut gezielter Treffer hätte genügt, es zum Sinken zu bringen.
Hunter fluchte zwar noch immer leise vor sich hin, rührte sich jedoch nicht von der Stelle - die Disziplin wirkte wieder einmal Wunder. Auch mit dem schärfsten Kieker wäre es keinem von dort drüben gelungen, an Bord der Sloop irgend etwas von verdächtiger Unruhe zu entdecken. Eine neue Nebelwand zog heran, und bald waren sie wieder ganz in feuchtes Grau gehüllt.
»Gott sei Dank«, atmete Hunter auf. Er schien gar nicht zu merken, wie schlecht dieser fromme Ausruf zu seiner eben beendeten Flucherei passen wollte.
»Klar zum Halsen«, sagte Hornblower. »Gehen Sie auf Backbord-Bug an den Wind.«
Es war nicht nötig, die Leute noch besonders zur Ruhe zu ermahnen, jeder von ihnen wußte nur zu genau, welche Gefahr ihm drohte. Die Schoten wurden lautlos dichtgeholt und an Deck aufgeschossen, die Sloop wurde so hart wie möglich an den Wind gebracht, sie neigte sich in der leichten Brise um ein weniges zur Seite und stemmte sich mit dem Backbord-Bug gegen die müde anrollenden Seen. »Jetzt kreuzen wir ihren Kurs«, sagte Hornblower. »Hoffentlich laufen wir ihnen dabei nicht vor den Bug, sondern hinter dem Heck vorbei«, meinte Winyatt.
Die Herzogin stand noch immer in ihrem Kapuzenmantel auf dem Achterdeck. Sie hatte sich ganz an das Heck zurückgezogen, um möglichst niemandem im Weg zu stehen.
»Würden es Euer Gnaden nicht doch vorziehen, unter Deck zu gehen?« fragte Hornblower und mußte sich dabei richtig dazu zwingen, die formelle Anrede zu gebrauchen.
»O nein, bitte, lassen Sie mich hier«, sagte die Herzogin.
»Unter Deck? Das wäre mir unerträglich.«
Hornblower zuckte nur die Achseln und vergaß dann ganz ihre Gegenwart, da ihn alsbald eine neue Sorge befiel. Er verschwand unter Deck und erschien sogleich mit den beiden dicken Umschlägen wieder an Deck, die die Depeschen enthielten. Dann zog er einen Belegnagel aus der Nagelbank und begann die Umschläge sorgfältig mit einem Ende Kabelgarn daran zu befestigen.
»Bitte, Mr. Hornblower«, sagte die Herzogin, »verraten Sie mir doch, was Sie da tun.«
»Ich will sicherstellen, daß diese Umschläge samt ihrem Inhalt bestimmt untergehen, wenn ich sie im Fall unserer Gefangennahme über Bord werfe.«
»Dann sind sie also unwiederbringlich verloren?«
»Das ist immer noch besser, als daß sie die Spanier zu lesen bekommen«, sagte Hornblower so geduldig, wie es seine Verfassung erlaubte.
»Wie wäre es, wenn ich sie übernähme?« schlug die Herzogin vor. »Ich könnte sie wirklich an Ihrer Stelle besorgen.«
Hornblower blickte sie durchdringend an.
»Nein«, sagte er, »man könnte Ihr Gepäck durchsuchen.
Damit müssen wir auf alle Fälle rechnen.«
»Ach was, Gepäck!« sagte die Herzogin, »glauben Sie denn, ich bin so töricht und lege sie in meinen Koffer? Nein, ich trage sie auf der Haut, so weit werden sie mich doch auf keinen Fall untersuchen. Ich stecke sie unter meinen Unterrock, dort finden sie sie nie.«
Hornblower hörte sich ganz verblüfft diese ungeschminkt sachliche Sprache an. Aber gerade darum mußte er sich eingestehen, daß der Plan der Herzogin Hand und Fuß hatte.
»Wenn sie uns gefangennehmen«, fuhr sie jetzt fort, »ich bete zu Gott, daß es uns erspart bleibt, aber
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