Hornblower 05 - Der Kapitän
schäumenden See schimmerte durch die Dunkelheit. Das Meer hatte die Natividad verschlungen, bevor die Flammen sie vollends zerstören konnten.
»Bei Gott, sie ist gesunken!« stöhnte Bush, der sich über die Reling beugte.
In den Sekunden der Stille, die diesen Worten folgten, glaubte Hornblower noch immer jenes letzte klagende »Niemals!« zu hören. Dennoch war er von der gesamten Besatzung vielleicht der erste, der die Fassung wiederfand. Er ließ wenden und segelte dorthin, wo der feindliche Zweidecker untergegangen war. Hooker mußte mit dem Kutter nach etwaigen Überlebenden suchen. Der Kutter war das einzige noch verwendbare Beiboot, denn Gig und Jolle hatten die Kanonenkugeln der Natividad zerschmettert. Wirklich wurden einige Leute gerettet. Ein paar Matrosen, die in der Fockrüst der Lydia standen, fischten ihrer zwei auf, und der Kutter fand ein halbes Dutzend Schwimmer.
Das war alles. Nun standen sie im Laternenschein an Deck der Lydia, indessen das Wasser aus ihren zerfetzten Kleidern und dem schwarzen Haar strömte. Die Engländer versuchten kameradschaftlich zu ihnen zu sein, aber sie blieben feindselig verschlossen. Einer der Geretteten schien sogar drauf und dran zu sein, den Verzweiflungskampf der Natividad auf eigene Faust weiterzuführen.
Hornblowers Müdigkeit hatte nun einen solchen Grad erreicht, daß er sich wie im Traum vorkam, als wäre alles, was ihn umgab - das Schiff selbst, die Kanonen, Masten und Segel, Bushs untersetzte Gestalt -, unwirklich und gespenstisch, als wäre nur diese entsetzliche Erschöpfung und die Schmerzen, die er innerhalb seines Schädels empfand, etwas tatsächlich Vorhandenes. Seine eigene Stimme klang ihm, als töne sie aus meterweiter Entfernung. »Was für ein Kurs soll gesteuert werden, Sir?« fragte Bush. »Kurs?« wiederholte Hornblower abwesend. »Kurs...?« Furchtbar schwer fiel es ihm, sich darüber klarzuwerden, daß das Gefecht vorüber, daß die Natividad gesunken war, daß es im Umkreis von Tausenden von Seemeilen keinen schwimmenden Feind mehr gab. Auch drang die Erkenntnis, daß sich die Lydia selbst in großer Gefahr befand, kaum zu seinem Bewußtsein durch. Eintönig klapperten die Pumpen, die doch nicht die vielen Schußlöcher unschädlich machen konnten. Noch immer wurde dem Einbruch des Wassers vor allem durch das untergezogene Segel begegnet, und die Lydia bedurfte dringendst einer gründlichen Überholung.
Nach und nach begriff Hornblower, daß nun ein neues Kapitel in der Geschichte seiner Fregatte begann, daß er neue Pläne ausarbeiten mußte. Und - richtig - eine ganze Reihe von Menschen wartete auf sofortige Befehle. Bush war da, der Bootsmann und der Zimmermann und der Waffenmeister und dieser Idiot Laurie. Er mußte sein müdes Hirn wieder zum Denken zwingen. Er schätzte die Stärke und die Richtung des Windes, als handele es sich nur um eine akademische Angelegenheit und nicht um einen Denkprozeß, der ihm seit zwanzig Jahren zur zweiten Natur geworden war. Müde schleppte er sich in die Kajüte hinunter, müde kramte er inmitten des wüsten Durcheinanders in der zerschmetterten Kartenkiste herum, und dann beugte er sich angestrengt nachdenkend über die zerrissene Seekarte.
So bald wie möglich mußte er seinen Sieg in Panama melden; das stand einmal fest. Vielleicht konnte er dort bereits seine Schäden ausbessern, obwohl er in Erinnerung an jene ungastliche Reede wenig Aussicht dafür sah, zumal das gelbe Fieber in der Stadt herrschte. Nun, jedenfalls galt es also, die schwer beschädigte Lydia nach Panama zu bringen. Er setzte einen Kurs fest, der ihn zunächst nach Kap Mala führen sollte, und durch eine besondere Willensanstrengung vermochte er sogar zu beurteilen, daß der Wind dafür sehr günstig war. Als er dann zum Erteilen der notwendigen Befehle wieder zur Hütte emporstieg, war die Masse der Menschen, die sich hilfesuchend herzugedrängt hatten, wie durch Zauberei verschwunden.
Hornblower erfuhr nie, daß Bush sie samt und sonders davongejagt hatte. Er gab seinem Ersten Offizier den Kurs an, als plötzlich Polwheal mit Mantel und Liegestuhl neben ihm auftauchte. Hornblower vermochte keinen Einspruch mehr zu erheben. Widerstandslos ließ er sich in den Mantel hüllen, und dann sank er halb ohnmächtig in den Stuhl. Vor einundzwanzig Stunden hatte er sich zum letztenmal hinsetzen können. Wohl hatte Polwheal auch für einen Imbiß gesorgt, aber den übersah er. Er wollte nichts essen. Er brauchte nur Ruhe.
Und
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