Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
vergegenwärtigte sich seine Lebensgefährtin, wie sie in tiefer Trauer, den Mund fest geschlossen, die grobe rötliche Haut der Wangen nass von Tränen, in nervöser Art die Hände öffnete und schloss. So war es an jenem Sommertag gewesen, als der kleine Horatio und sein Schwesterchen in ihrem gemeinsamen Grab bestattet wurden.
Unwillig schüttelte Hornblower die Erinnerung an jenen Vorgang ab. Glücklicherweise würde Maria wenigstens nicht in Geldverlegenheiten geraten. daß die britische Regierung in diesem Fall ihre Pflicht tat, dafür würde schon die Presse sorgen. Die Art, wie sie auf diese Bekanntmachung Bonapartes antwortete, konnte er sich lebhaft vorstellen; die flammende Empörung darüber, daß man britische Seeoffiziere als Piraten behandelte, den öffentlich geäußerten Verdacht, daß es sich um einen kaltblütigen Mord handelte, bei dem der angebliche Fluchtversuch nur als Vorwand diente, und den Schrei nach Vergeltungsmassnahmen.
Bis auf den heutigen Tag schrieb eine englische Zeitung selten etwas über Bonaparte, ohne an den Tod eines anderen Briten, des Kapitäns z. S. Wright, zu erinnern, der in einem Pariser Gefängnis Selbstmord begangen haben sollte. In England war jedermann davon überzeugt, daß Bonaparte ihn hatte umbringen lassen, und das gleiche würde die öffentliche Meinung auch in diesem Fall tun. Es war fast ein wenig komisch, daß sich alle wirkungsvollen Angriffe gegen den Korsen aus mehr oder weniger belanglosen Dingen ergaben. Die Leiter britischer Propaganda hatten längst erkannt, daß es sich mehr lohnte, markante Einzelfälle herauszugreifen, als gegen die Grundsätze der napoleonischen Politik zu Felde zu ziehen. So würden die Zeitungen auch diesmal den Tod zweier Seeoffiziere viel ausgiebiger zu ihrer Verurteilung Bonapartes benutzen als beispielsweise den Einfall nach Spanien, der einigen hunderttausend unschuldigen Menschen das Leben gekostet hatte.
Auch Lady Barbara las nun, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Hornblower nahm an, daß sie seinen Tod bedauern werde, aber wie tief diese Trauer ging, vermochte er nicht abzuschätzen. Der Gedanke löste mit einemmal wieder die ganze Flut der Spekulationen, die er seit kurzem versucht hatte, zu vergessen... ob sie wirklich etwas für ihn übrig hatte, ob ihr Gatte von seiner Verwundung genesen war oder nicht und wie er sich in jedem Fall ihr gegenüber verhalten sollte.
»Es tut mir aufrichtig leid, daß diese Bekanntmachung Ihnen so viel Kummer zu bereiten scheint«, meinte der Graf, und sofort fiel es Hornblower ein, daß man seinen Gesichtsausdruck während der letzten Minuten besorgt beobachtet hatte.
Ausnahmsweise war er nicht auf der Hut gewesen, aber nun fasste er sich im Augenblick. Er zwang sich sogar zu einem Lächeln.
»Dadurch wird unsere Reise quer durch Frankreich wesentlich erleichtert«, sagte er.
»Ja. Ich dachte das gleiche, sobald ich es las. Ich darf Ihnen gratulieren, Herr Kapitän.«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte Hornblower. Es fiel ihm jedoch auf, daß das Gesicht seines Gastgebers Besorgnis ausdrückte.
Offenbar wollte er noch etwas sagen, zögerte aber damit.
»Woran denken Sie, Graf?« fragte Hornblower.
»Es handelt sich um folgendes... In gewisser Hinsicht hat sich Ihre Lage ein wenig verschlechtert. Sie sind von einer Regierung für tot erklärt worden, die keine Irrtümer zuzugeben pflegt, weil sie es darauf nicht ankommen lassen darf. Insofern fürchte ich auch, daß ich Ihnen einen schlechten Dienst leistete, als ich in so selbstsüchtiger Weise darauf bestand, mich des Vergnügens Ihrer Gesellschaft zu erfreuen. Wenn man Sie wieder einfängt, so werden Sie tot sein. Die Regierung wird dafür sorgen, daß Sie unauffällig verschwinden.«
Hornblower zuckte gleichgültig die Achseln, und diesmal entsprach die Geste seinen Empfindungen.
»Sie wollen mich ohnehin erschießen. Es würde also keinen Unterschied machen.«
Der Gedanke, daß eine moderne Regierung den im geheimen ausgeführten Mord zulassen könnte, wollte ihm nicht recht in den Sinn. Derlei kam vielleicht bei den Türken vor, aber dann musste er sich sagen, daß Bonaparte sich offenbar schon öfters derlei hatte zuschulden kommen lassen. Es war ein peinlicher Gedanke, aber dessen ungeachtet lächelte Hornblower tapfer.
»Sie besitzen den für ihre Nation charakteristischen Mut, Herr Kapitän«, bemerkte de Gracey, »aber bedenken Sie bitte, daß die Nachricht von Ihrem Tod auch nach England gelangen
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