Hornblower 07 - Unter wehender Flagge
nachdenklich. »Im Sommer und mit einem kleinen Ruderboot ließe es sich wohl machen. Wohl gibt es eine Menge schwieriger, aber niemals wirklich gefahrvoller Stellen.«
»Im Sommer?!...«
»Freilich. Zunächst einmal müssen Sie ohnehin warten, bis der Herr Kapitänleutnant wieder ganz wohl ist, und dann werden Sie Ihr eigenes Boot bauen; ich nehme an, daß Sie als Seeleute das zuwege bringen werden. Nein, mit einem baldigen Aufbruch dürfen Sie nicht rechnen. Im Januar friert der Fluss in der Regel zu, und im Februar setzt wieder das Hochwasser ein, das bis in den März zu dauern pflegt. Es erscheint mir daher dringend wünschenswert, daß Sie mir das Vergnügen Ihrer Gesellschaft bis zum März gewähren, Herr Kapitän.«
Die Aussichten, monatelang auf die Möglichkeit der Abreise warten zu müssen, kam Hornblower durchaus überraschend.
Ursprünglich hatte er gedacht, daß sie sich nach vierzehn Tagen, spätestens in drei Wochen auf dem Wege nach England befinden würden. Seit einem Jahrzehnt hatte er sich niemals länger als vier Monate an einer und derselben Örtlichkeit aufgehalten, wie er während jener zehn Jahre überhaupt kaum vier Monate nacheinander an Land gewesen war. Vergebens suchte er nach einer anderen Lösung. Die Benutzung der Landstrasse schloss zweifellos die Notwendigkeit der Verwendung von Pferden und Wagen sowie die Berührung mit allen möglichen Leuten in sich. Er durfte nicht hoffen, Bush und Brown auf solche Weise außer Landes zu bringen. Wählten sie aber den Wasserweg, so blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als zu warten. Binnen vier Monaten würde Bush wieder gänzlich genesen sein, und mit dem Beginn der warmen Jahreszeit konnte man darauf verzichten, in Wirtshäusern und anderswo Obdach zu suchen. So konnten sie im Freien übernachten und stromabwärts treibend jede Berührung mit den Franzosen vermeiden.
»Wenn Sie Angelgerät mitnehmen«, fügte der Graf hinzu, »dann wird man Sie, sofern man Ihnen begegnet, für Amateurfischer halten, die einen Ausflug unternehmen. Aus irgendeinem Grunde, den ich nicht näher zu bestimmen vermag, wird man einen Fischer niemals übler Absichten verdächtigen, sofern es nicht die Fische selbst tun.«
Hornblower nickte. Sonderbar, daß er sich gerade das Bild des flussabwärts treibenden Bootes und der darin sitzenden Angler vergegenwärtigte, denen vom Ufer aus uninteressierte Blicke folgten. Jedenfalls war dies die sicherste Art, Frankreich zu durchqueren, an die er zu denken vermochte. - Dennoch...
April? Inzwischen würde sein Kind geboren werden, und Lady Barbara hatte ihn vielleicht bis dahin gänzlich vergessen.
»Es wäre aber doch ungeheuerlich, Ihnen für die ganze Dauer des Winters unsere Anwesenheit aufzubürden«, meinte er.
»Ich versichere Ihnen, Herr Kapitän, daß diese sowohl der Vicomtesse als auch mir das größte Vergnügen bereiten wird.«
Da blieb Hornblower nur übrig, sich in die Lage zu fügen.
9. Kapitel
Kapitänleutnant Bush beobachtete, wie Brown den letzten Riemen seines neuen Holzbeines festschnallte, und von der anderen Seite des Zimmers aus sah Hornblower ihnen prüfend zu.
»Hol steif!« befahl Bush. »Belege.«
Er saß auf dem Rand seines Bettes und bewegte prüfend das Bein.
»Gut«, sagte er. »Geben Sie mir mal Ihre Schulter. Nun anheben, und dann wollen wir die Toten erwecken.«
Hornblower sah Bush aufrecht stehen, aber das Gesicht seines Ersten Offiziers nahm einen unwillig staunenden Ausdruck an, während er sich fest an Browns derbe Schultern klammerte.
»Mein Gott!« murmelte er schwach; »wie das schlingert!«
Nach wochenlangem Ruhen war dieses Schwindelgefühl durchaus zu erwarten gewesen. Offenbar hatte Bush das subjektive Gefühl, daß der Boden unter ihnen schwankte und die Wände sich drehten. Jedenfalls deutete sein erschrockener Blick darauf hin.
»Marsch. Steuern Sie auf den Kapitän zu.«
Brown wartete geduldig als die lebendige Stütze, die er war.
Hornblower bemerkte, wie Bush die Zähne zusammenbiss und wie sich sein Gesichtsausdruck in dem Bestreben, der eigenen Schwäche Herr zu werden, straffte.
»Los, Brown, steuern Sie mal den Herrn Kapitän an.«
Langsam wanderte Brown durchs Zimmer, indessen Bush sich an ihn klammerte. Bei jedem Schritt schlug das mit Leder bezogene Holzbein dumpf auf den Boden. Bush schwang es zu hoch, wohingegen das gesunde Bein jedesmal vor Schwäche am Knie einknickte.
»Mein Gott!« sagte Bush abermals. »Langsam! Langsam!«
Hornblower
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