Hornblower 08 - Der Kommodore
ohne Grund an ihn gerichtet. Das Gesicht, das ihm da entgegensah, war über und über von Staub und Schweiß verschmiert, auf einem Backenknochen klebte geronnenes Blut, das von einer Hautabschürfung herrührte. Seine Uniform war völlig verschmutzt, und eine der Epauletten hing ihm schief von der Schulter herab. Kurz, man sah ihm an, daß er soeben aus einem verbissenen Kampf auf Leben und Tod zurückgekehrt war. Er musterte sich genauer. War das überhaupt sein Gesicht?
Diese Falten, diese müden Züge, diese rotgeränderten Augen!
Plötzlich machte er eine Entdeckung. Er wandte den Kopf ein bißchen zur Seite und sah noch schärfer hin. Wahrhaftig! Das Haar an seinen Schläfen war ganz weiß. Genügte wirklich eine einzige Schlacht, um einen so zu verändern? Nein, das hier war das Gesicht eines Mannes, dessen Leben eine endlos lange Zeit unter dem Druck einer unerträglichen Nervenanspannung gestanden hatte. Darin, im Ertragen dieser ewigen Spannung, lag seine wahre, eigentliche Leistung. Als er das feststellte, empfand er fast ein bißchen Hochachtung vor sich selbst. War es wirklich so, daß er die Last dieser schrecklichen Belagerung nun schon seit Monaten trug? Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, daß sein Gesicht, Hornblowers Gesicht, je sein Inneres verraten könnte, so wie auch die Gesichter anderer Leute ihre Seele spiegeln. Hatte er denn nicht sein ganzes Leben lang danach gestrebt, seinen Gesichtsausdruck so vollkommen zu beherrschen, daß er seine Gefühle niemals verriet? Die Tatsache, daß sein Haar ergraute, daß die strengen Falten um seinen Mund sich immer tiefer eingruben, ohne daß er etwas daran zu ändern vermochte, schien ihm eine tiefe Ironie zu enthalten und bot ihm eine Menge Stoff zum Nachdenken.
Da begann das Deck unter seinen Füßen zu wanken, als befände sich das Schiff in See, so stark, daß es selbst seinen alten Seebeinen schwerfiel, das Gleichgewicht zu halten. Er mußte sich an der Konsole festhalten, die er gerade griffbereit vor sich hatte Nur mit größter Vorsicht ließ er diesen Halt los, wankte zu seiner Koje hinüber und fiel mit dem Gesicht nach unten quer darüber hin.
23. Kapitel
Noch immer schwojte die Nonsuch in der Bucht von Riga um ihren Anker, und Hornblower ging auf seinem Achterdeck auf und ab. Heute befaßte er sich mit einem neuen Problem, daß ihm keineswegs überraschend kam, ohne daß es dadurch an Bedeutung und Dringlichkeit eingebüßt hätte. Der Winter rückte immer näher, längst schon gab es in den Nächten strenge Fröste, und an den beiden letzten Tagen hatte richtiges Schneegestöber geherrscht, das die ganze Landschaft jedesmal auf Stunden in winterliches Weiß hüllte. An der Nordböschung der Deiche lag der Schnee auch jetzt noch, so daß sie sich abhoben wie weiße Striche. Die Tage wurden kurz, die Nächte lang, und das Brackwasser in der Rigaschen Bucht bedeckte sich an stillen Tagen schon mit einer dünnen Schicht Jungeis. Wenn er noch lange hier liegenblieb, dann froren seine Schiffe ein. Essen hatte ihm zwar versichert, er könne ruhig noch mindestens vierzehn Tage bleiben. Solange könne man das offene Wasser noch durch einen ins Eis gesägten Kanal erreichen, und er würde für die Arbeitskräfte sorgen, die ihm diesen Kanal schnitten. Aber Hornblower war von dieser Möglichkeit nicht überzeugt. Ein Sturm aus nördlicher Richtung, der doch jeden Augenblick einsetzen konnte, hielt ihn unweigerlich hier fest und bewirkte gleichzeitig, daß ringsum alles zufror und daß sich in dem engen Ausgang der Bucht zwischen Ösel und dem Festland das Treibeis zu Bergen staute, gegen die Sägen und sogar Sprengstoffe machtlos waren. War der Verband aber einmal eingefroren, dann lag er bis zum nächsten Frühjahr unbeweglich fest und wurde eine sichere Beute der Franzosen, falls es ihnen gelang, Riga zu Fall zu bringen. Vor zwanzig Jahren war ein holländisches Geschwader in Amsterdam ausgerechnet französischen Husaren zum Opfer gefallen, die eine Attacke über das Eis ritten. Man denke an das Triumphgeschrei, das Bonaparte erheben würde, wenn ihm jetzt auf die gleiche Weise ein englischer Verband in die Hände fiel - noch dazu einer, der unter dem Kommando des berüchtigten Kommodore Hornblower stand! Diese Vorstellung überfiel ihn mit solcher Gewalt, daß er auf seinem Spaziergang einen Schritt zu früh kehrtmachte. Es war ein Gebot der Klugheit, sich sofort von hier zurückzuziehen. Der Bezug über dem Bodenstück dieser Karronade war
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