Hornblower 09 - Lord Hornblower
Hornblower die Prüfung des Schreibens beendet hatte, blickte er wieder St. Vincent an.
»Meuterische Hunde«, knirschte der.
Ja, vielleicht waren sie das, dachte Hornblower. Aber hatten sie nicht im Grunde ein Recht, es zu sein? überlegte er weiter.
Er konnte sich so gut vorstellen, wie man sie behandelt hatte, diese ganze endlose, sinnlose Grausamkeit, die das ohnehin harte Leben an Bord eines Schiffes im Blockadedienst völlig unerträglich machte, dieses Elend, von dem wirklich nur der Tod oder die Meuterei Erlösung brachten, weil es einfach keinen anderen Weg der Befreiung gab.
Angesichts der unfehlbar bevorstehenden Auspeitschung hatten sich die armen Kerle zum Widerstand entschlossen und gemeutert. Er konnte ihnen daraus im Ernst keinen Vorwurf machen. Hatte er nicht schon genug zerfetzte Rücken sehen müssen? Er wußte genau, daß er selbst buchstäblich zu allem imstande wäre, um einer solchen Folter, wenn sie ihm einmal drohen sollte, zu entgehen. Wie, wenn er zum Beispiel wüßte, daß er nächste Woche ausgepeitscht würde? Als er im Ernst versuchte, sich in diese Lage hineinzudenken, kroch es ihm kalt über den Rücken. Diese Männer hatten das moralische Recht auf ihrer Seite. Wenn man sie jetzt für ihr durchaus entschuldbares Verbrechen dennoch bestrafte, dann geschah das nicht im Dienste des Rechts, sondern aus Gründen der Staatsräson. Es war für das Schicksal des Vaterlandes von entscheidender Bedeutung, daß man alle Meuterer ergriff, die Rädelsführer hängte und die übrigen auspeitschte, daß man diesen neuen Krankheitsherd, der an Englands Schwertarm aufgetreten war, sofort ausbrannte, ehe sich das Unheil weiterfraß.
Sie mußten hängen, ob sie eine moralische Schuld traf oder nicht, das gehörte ganz einfach mit zum Krieg, so wie es zum Krieg gehörte, Franzosen zu töten, Männer, die vielleicht die besten Väter und Gatten waren. Immerhin war es besser, St. Vincent nichts von diesen Gefühlen und Überlegungen ahnen zu lassen - der Erste Lord haßte die Meuterer ganz einfach, weil sie Meuterer waren, er gab sich keine Mühe, tiefer in die Problematik des einzelnen Falles einzudringen. »Welche Befehle haben Sie für mich, Mylord?« fragte Hornblower. »Ich gebe Ihnen carte blanche«, antwortete St. Vincent. »Sie sollen freie Hand haben. Bringen Sie mir die Flame heil und sicher zurück nach England und die Meuterer mit. Wie Sie diese Aufgabe lösen wollen, bleibt ganz Ihnen überlassen.«
»Ich habe also unbeschränkte Vollmacht - zum Beispiel auch zu Verhandlungen, Mylord?«
»Nein, verdammt, so war es nicht gemeint«, gab St. Vincent zur Antwort. »Was ich meinte, war, daß Sie an Schiffen haben können, was Sie wollen. Ich könnte Ihnen drei Linienschiffe verfügbar machen, wenn Sie sie brauchen. Ein paar Fregatten, Kanonenboote... sogar ein Raketenschiff stelle ich Ihnen, wenn Sie sich etwas davon versprechen - dieser Congreve möchte seine Raketen gern wieder einmal praktisch erproben.«
»Der Einsatz stärkerer Kräfte scheint mir in diesem Falle wenig Vorteil zu bringen, Mylord. Vor allem dürfte sich die Verwendung von Linienschiffen erübrigen.«
»Damit sagen Sie mir verdammt nichts Neues.« St. Vincents massige Züge verrieten deutlich, wie es in ihm arbeitete. »Diese unverschämten Lumpen können ja beim ersten Anzeichen einer Gefahr schneller in die Seinemündung hineinrutschen, als eine Ente zweimal mit dem Purzel wackelt. Eine solche Aufgabe kann nur mit dem Kopf gelöst werden. Das ist es ja gerade, weshalb ich Sie dafür ausgesucht habe, Hornblower.« Das war ein hübsches Kompliment. Hornblower konnte nicht umhin, sich heimlich etwas aufzuplustern. Sprach er nicht fast wie gleich zu gleich mit einem der größten Admirale, die je eine Flagge geführt hatten? Das gab ein wunderbares Gefühl stolzer Befriedigung. Und nun entrang sich dem Ersten Lord unter einem zunehmenden inneren Zwang noch ein anderes, viel erstaunlicheres Eingeständnis:
»Außerdem sind Sie bei den Leuten beliebt, Hornblower«, platzte er heraus. »Ich kenne verdammt keinen, der Sie nicht mag. Man folgt Ihrem Beispiel, man hört auf das, was Sie sagen.
Sie sind einer von den Offizieren, die den Leuten immer wieder Gesprächsstoff geben. Die Männer vertrauen Ihnen und setzen große Erwartungen auf Sie - ich auch, verdammt noch mal, falls Sie das noch nicht gemerkt haben sollten.«
»Wenn ich mit den Leuten reden soll, dann heißt das doch nichts anderes, Mylord, als daß ich mit
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