Hornblower 09 - Lord Hornblower
Aufzug vermochte diesem Mann nichts von seiner strengen Würde zu nehmen. Barbara zog ihre Hand aus Hornblowers Arm und trat diskret zurück, um den beiden Männern ein Gespräch unter vier Augen zu ermöglichen. »Sir?« begann Hornblower fragend, dann fiel ihm - zu spät - ein, wen er vor sich hatte, er war ja nicht daran gewöhnt, mit dem Hochadel umzugehen. Er verbesserte sich: »Mylord?«
»Sind Sie so weit hergestellt, daß Sie wieder Dienst machen können, Hornblower?«
»Jawohl, Mylord.«
»Sie müssen noch heute Abend in See gehen.«
»Aye, aye, Sir - Mylord.«
»Wenn mein verfluchter Wagen endlich erscheint, dann bringe ich Sie zur Admiralität und gebe Ihnen Ihren Befehl.« St. Vincent erhob seine Stimme zu jener Lautstärke, die auch in westindischen Zyklonen mit Leichtigkeit genügt hatte, sich im Großtopp seines Schiffes verständlich zu machen: »Sind denn diese verdammten Gäule immer noch nicht da, Johnson?« Da entdeckte er über Hornblowers Schulter hinweg Barbara. »Ihr Diener, gnädige Frau«, sagte er, nahm seinen Federhut vom Kopf und hielt ihn quer vor die Brust, während er eine vollendete Verbeugung vor ihr machte. Weder Alter noch Gicht noch ein ganzes langes Seemannsleben hatten es vermocht, die höfische Grazie seiner gesellschaftlichen Formen zu beeinträchtigen. Aber jetzt ging es um die Pflicht gegen das Vaterland, und der gebührte immer der Vorrang. Deshalb wandte er sich sofort wieder Hornblower zu. »Worum handelt es sich, Mylord?« fragte dieser.
»Unterdrückung einer Meuterei«, gab St. Vincent finster zur Antwort. »Wieder so eine verfluchte Meuterei. Man könnte meinen, wir schrieben noch 1794. Kennen Sie Chadwick - Leutnant Augustin Chadwick?«
»War mit mir Fähnrich unter Pellew, Mylord.«
»Gut, also dieser... Ach, hier ist endlich mein verfluchter Wagen. Aber was wird aus Lady Barbara?«
»Ich fahre mit meinem eigenen Wagen zurück zur Bondstreet und schicke ihn dann gleich zur Admiralität, um Horatio abzuholen. Da kommt er schon!«
Der Wagen, auf dessen Bock Brown neben dem Kutscher saß, fuhr hinter der Kutsche des Lords St. Vincent vor. Brown sprang sogleich ab. »Sehr schön, also kommen Sie, Hornblower.
Nochmals Ihr gehorsamer Diener, gnädige Frau.«
St. Vincent kletterte schwerfällig in den Wagen, und Hornblower setzte sich neben ihn, dann kam das schwere Fahrzeug unter lautem Hufgeklapper langsam in Bewegung.
Bleicher Sonnenschein spielte durch das Fenster herein und huschte über das steinerne Gesicht St. Vincents, der vornübergebeugt auf seinem Lederpolster saß. Ein paar Gassenjungen entdeckten die buntgekleideten Männer in der Kutsche, brüllten laut Hurra und schwenkten ihre zerlumpten Mützen.
»Chadwick hatte die Flame, eine Brigg mit 18 Geschützen«, sagte St. Vincent. »Die Besatzung hat in der Seinebucht gemeutert und hält ihn und die anderen Offiziere als Geiseln gefangen. Nun haben sie einen Steuermannsmaat und vier unbeteiligte Männer mit einem an die Admiralität gerichteten Ultimatum in der Gig losgeschickt. Das Boot ist gestern abend in Bembridge angelangt, und das Schreiben hat mich soeben erreicht. Hier ist es.«
Zornig schüttelte St. Vincent den Brief mit seinen Anlagen in der knotigen Hand. Er hatte die Papiere nicht mehr losgelassen, seit er sie in der Westminsterabtei erhalten hatte. »Und was steht in diesem Ultimatum, Mylord?«
»Amnestie wollen sie haben - alles soll vergessen sein. Und Chadwick soll gehängt werden. Wenn wir nicht darauf eingehen, wollen sie die Brigg den Franzosen ausliefern.«
»Diese närrischen Dummköpfe!« sagte Hornblower.
Er erinnerte sich an Chadwick von der Indefatigable her. Er war damals vor zwanzig Jahren für einen Fähnrich schon alt gewesen und mußte jetzt schon ein guter Fünfziger sein. Dabei war er immer noch nicht Stabsoffizier. Schon als Fähnrich war er ein launischer, unangenehmer Mensch gewesen, da konnte man sich leicht vorstellen, wie es um die Stimmung des alten, sooft in der Beförderung übergangenen Leutnants heute bestellt war. Wenn er wollte, dann konnte er ein kleines Schiff wie die Flame für die Besatzung zu einer wahren Hölle machen, zumal er wahrscheinlich der einzige Offizier mit Patent war, der sich an Bord befand. Daraus mochte sich dann die Meuterei ergeben haben. Nach den schrecklichen Lehren von Spithead und vom Nore, nachdem Pigott auf der Hermione ermordet worden war, hatte man einige der schlimmsten Härten des Kriegsschiffsdienstes beseitigt.
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