Hornblower 09 - Lord Hornblower
ihnen zu verhandeln habe.«
»Keine Verhandlungen mit Meuterern!« brüllte St. Vincent und knallte seine Faust, die an Umfang einer Hammelkeule glich, krachend auf den Schreibtisch. »Damit haben wir Anno 94 unsere Erfahrungen gemacht.«
»Dann bedeutet also die carte blanche, die Sie mir geben, nicht mehr als die üblichen Befehle, Mylord«, sagte Hornblower.
Das war wirklich kein Vergnügen mehr. Man übertrug ihm hier eine äußerst schwierige Aufgabe, die sehr leicht schief gehen konnte, und machte ihm natürlich allein den Vorwurf, wenn er keinen Erfolg hatte. Er hatte sich gewiß nie träumen lassen, daß er sich je dazu versteigen würde, mit einem Ersten Lord eine Meinungsverschiedenheit auszutragen, und doch sah er sich nun mitten darin; es ging nicht anders. In einem hellsichtigen Augenblick machte er sich klar, daß er dabei im Grunde gar nicht für sich selbst sprach, daß er nicht einmal darauf aus war, seine persönlichen Interessen zu wahren. Er verhandelte vielmehr ganz unpersönlich. Der Offizier, der den Auftrag erhielt, den Meuterern die Flame wegzunehmen, und dessen ganze Zukunft vielleicht von den Vollmachten abhing, die er bekam, dieser Offizier war nicht der Hornblower, der hier in seinem weißroten Seidengewand auf dem geschnitzten Stuhl saß, sondern irgendein anderer armer Teufel, der ihm leid tat und dessen Sache er verfocht, weil sie mit der großen Sache des Vaterlandes eins war. Aber dann verschmolzen diese beiden Wesen gleich wieder zu einem einzigen, und er entdeckte, daß ihn diese Geschichte ganz allein anging, ihn, Hornblower, den Mann Barbaras, der gestern bei Lord Liverpool diniert hatte und heute als Folge davon noch ein leichtes Stechen in der Mitte der Stirn fühlte. Ausgerechnet ihm wurde hier diese höchst unerfreuliche Aufgabe übertragen, die ihm nicht für fünf Pfennig Ruhm oder Auszeichnung einbrachte, indessen er sich der Gefahr aussetzte, dabei einen gründlichen Fehlschlag zu erleiden, einen Versager, der ihn zur Witzfigur der ganzen Marine machte und dem Gelächter des Landes preisgab. Wieder beobachtete er aufmerksam das Mienenspiel seines Gegenübers.
Lord St. Vincent war alles andere als beschränkt, und hinter dieser zerklüfteten Stirn saß ein scharfer Verstand. Er kämpfte im Augenblick einen harten Kampf gegen seine eigenen Vorurteile und rang sich endlich dazu durch, sie einer höheren Pflichtauffassung zum Opfer zu bringen. »Also gut, Hornblower«, entschied der Erste Lord endlich, »ich gebe Ihnen unbeschränkte Vollmacht und werde Ihren Befehl in diesem Sinne ausfertigen lassen. Natürlich behalten Sie den Rang eines Kommodore.«
»Ich danke Ihnen, Mylord.«
»Hier ist eine Besatzungsliste der Flame«, fuhr St. Vincent fort. »Bei uns liegt gegen keinen der Leute etwas vor. Der Bootsmannsmaat Nathaniel Sweet - hier ist seine Unterschrift - war vorher Erster Steuermann auf einer Kohlenbrigg aus Newcastle. Er wurde dort wegen Trunkenheit entlassen.
Vielleicht ist er der Rädelsführer. Aber ebenso gut kann es auch ein anderer sein.«
»Weiß die Öffentlichkeit von der Meuterei?«
»Nein! Gebe Gott, daß sie nichts davon erfährt, ehe die Kriegsgerichtsflagge geheißt wird. Holden in Bembridge war klug genug, den Mund zu halten. Er setzte den Steuermannsmaaten und die Matrosen sofort hinter Schloß und Riegel, als er ihre Nachricht gehört hatte. Die Dort segelt nächste Woche nach Kalkutta, und ich stecke die ganze Gesellschaft dahin an Bord. Dann kann es noch Monate dauern, ehe etwas von der Geschichte durchsickert.«
Meuterei war ansteckend, sie wurde durch Reden übertragen.
Man mußte den Ansteckungsherd so lange isolieren, bis er ausgeätzt werden konnte. St. Vincent zog ein Blatt Papier heran und griff nach seiner Feder - einer hübschen Truthahnfeder mit einer der neumodischen Goldspitzen. »Was für Schiffe wollen Sie nun haben?«
»Am liebsten hätte ich etwas Schnelles, Handiges«, sagte Hornblower. Er hatte noch nicht die leiseste Idee, wie er die Aufgabe angehen sollte, ein Fahrzeug abzufangen, das sich nur zwei Meilen nach Lee zurückzuziehen brauchte, um für jeden Verfolger unerreichbar zu sein. Aber sein Stolz gebot ihm, diese Unsicherheit hinter einer Maske von Selbstvertrauen zu verbergen. Er hätte zu gern gewußt, ob die Menschen alle so waren: nach außen hin ein Bild tapferer Entschlossenheit, in Wirklichkeit schwache, hilflose Kreaturen. Dabei fiel ihm eine Bemerkung Suetons ein, der von Nero berichtet, er habe alle
Weitere Kostenlose Bücher