Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 5 - Zeitentod (Das Finale - Teil 1)
Maschendraht überspannt war. Es war nicht mehr benutzt worden, seit Jack Hawes, der Totengräber, seinen Nachbarn in einem Streit um Kohlköpfe angegriffen hatte. Dafür hatte er sechs Wochen Haft bekommen, doch man hatte ihn schon nach drei Wochen freigelassen, weil Mrs Draper plötzlich gestorben war und niemand anders Lust hatte, ihr Grab auszuheben.
„Einen Moment mal!“ Mr Flint war aufgestanden und trat jetzt zwischen die drei Männer. Er war ein kleiner, unscheinbarer Kerl mit gewellten grauen Haaren, und wenn es zum Kampf gekommen wäre, hätten die drei anderen ihn mühelos plattgemacht. Aber es war genau dieser Kampf, den er verhindern wollte. „Jetzt ist der Reisende hier“, sagte er. „Der Schaden ist angerichtet. Also können wir uns ebenso gut anhören, was er zu sagen hat.“
Reade und Dolan machten mürrische Gesichter – ihre leichteste Übung –, aber alle sahen nur Sir Ian an und warteten auf seine Entscheidung. Ich warf Jamie einen kurzen Blick zu. Er saß vollkommen reglos da, aber ich spürte, dass er fieberhaft nachdachte, als hätte er keine Ahnung, was hier vorging, aber verzweifelt versuchte, es herauszufinden.
Sir Ian war unentschlossen. Auf wessen Seite sollte er sich schlagen? Wie diese Situation unter Kontrolle bringen, ohne an Autorität zu verlieren? Schließlich war es Miss Keyland, die ihm aus der Klemme half.
„Ich denke, es kann nicht schaden, wenn wir ihn sprechen lassen, Sir Ian“, sagte sie. „Immerhin sind es außergewöhnliche Umstände. Und der Reisende ist ebenso unerwartet hier aufgetaucht wie der Junge. Ich bin derselben Meinung wie Mr Flint. Wir sollten uns anhören, was er zu sagen hat.“
„Nun gut.“ Jetzt, wo ihm jemand die Entscheidung abgenommen hatte, fühlte Sir Ian sich wohler. „Aber fass dich kurz, Reisender. Sag, was du zu sagen hast, und dann geh.“
Alle nahmen wieder ihre Plätze ein. Der Reisende hatte sich in den freien Raum vor mir und Jamie gestellt, wo er von den Mitgliedern des Rats umringt war. Rita war klug genug gewesen, kein Wort zu sagen. Ich wusste, dass sie dem Reisenden immer noch zutiefst misstraute und dass sich ihre Meinung in den sieben Jahren, die er schon hier lebte, nicht geändert hatte. „Es war nichts Zufälliges daran, wie er hier aufgetaucht ist, sich mitten in der Nacht eingeschlichen hat“, hatte ich sie einmal sagen hören. „Und wieso muss er unbedingt auf diesem Boot leben? Er behauptet, dass es sich nicht mehr bewegt. Dass es im Schlamm festsitzt. Also, ich habe da so meine Zweifel!“
„Er hat doch kein Pferd mehr“, hatte ich ihr gesagt. „Und wieso sollte er überhaupt losfahren wollen?“
„Mich interessiert viel mehr, wieso er überhaupt hergekommen ist!“
Und jetzt stand er da und betrachtete den Rat mit einem Funkeln in den Augen, das auszudrücken schien, dass er viel mehr wusste als sie und viel mehr, als er zu sagen bereit war.
„Es ist ganz einfach“, begann er. „Ihr habt es schon selbst gesagt, als ihr das Mädchen befragt habt. Der einzige Grund, aus dem dieses Dorf so lange überlebt hat, ist die Tatsache, dass niemand etwas davon weiß. Ihr habt den Wald und den Fluss, aber es ist mehr als das, richtig? Wie viele Jahre ist es her, dass ihr die Straßenschilder abgenommen und die Straße aufgerissen habt, damit niemand den Weg hierher findet? Ihr habt sogar Wachtürme aufgestellt. Ihr habt euch viel Mühe gegeben, ungestört zu sein – und aus gutem Grund.“
„Du hast uns gefunden“, murmelte Reverend Johnstone.
„Ich bin durch Zufall hier gelandet, Vikar“, bestätigte der Reisende. „Und Sie waren einer von denen, die dafür gestimmt haben, dass ich bleiben durfte. Dafür werde ich Ihnen ewig dankbar sein. Es gefällt mir hier. Ich fühle mich wohl auf der Lady Jane und ihr könnt nicht bestreiten, dass ich mich im Dorf nützlich mache. Ich würde sagen, dass ich mittlerweile einer von euch bin, und deshalb möchte ich nicht, dass ihr alles verderbt. Ruft ihr die Polizei, müsst ihr auch von euch erzählen. Und was noch schlimmer ist, ihr werdet sie herkommen lassen müssen – und wer weiß, welche Folgen das hat? Natürlich werden sie den Jungen mitnehmen. Aber seid ihr so sicher, dass sie euch dankbar dafür sein werden? Glaubt ihr wirklich, dass ihr etwas dafür bekommen werdet?“
„Sie haben eine Belohnung ausgesetzt“, knurrte Dolan.
„Das ist leicht getan, nicht wahr? Hunderttausend Pfund, die ihr nicht braucht und nicht ausgeben könnt. Und dafür
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