Horowitz, Anthony - Die fuenf Tore 6 - Feuerfluch
wollte, aber diese Leute, die auf uns herabstarrten, hatten etwas an sich, das uns sagte, dass sie ziemlich unangenehm werden würden, falls wir ablehnten. Ich weiß nicht, wieso ich das dachte. Irgendwie hing es in der Luft. „Wir fahren eben noch durch die Schleusen und machen dann an der anderen Seite fest.“ Er ließ diese Bemerkung absichtlich so beiläufig klingen, als wäre es ihm eigentlich egal. „Vielleicht können Sie uns mit den Schleusentoren helfen?“
An der Art, wie der Reisende mich aus den Augenwinkeln ansah, erkannte ich, dass er die Schleusen hinter sich haben wollte, falls wir einen schnellen Abgang machen mussten – so schnell man mit einem Hausboot eben verschwinden konnte. Aber falls aus dem Drängen dieser Leute eine Handgreiflichkeit wurde, waren wir ihnen wenigstens nicht schutzlos ausgeliefert, wenn wir ihnen den Rücken zudrehten, um die Schleusen zu bedienen. Den Major und seine Frau schien es nicht zu stören. Sie nahmen unseren Schleusen-Schlüssel entgegen und gaben ihn einem zehnjährigen Jungen, der losrannte und die ganze Arbeit für uns machte. Irgendwie hatte der Junge etwas Verstörendes an sich – die Art, wie er uns anstarrte, diese großen Augen in dem blassen Gesicht. Er war nicht unfreundlich, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass er etwas wusste, das wir nicht wussten. Nachdem er die Tore geöffnet hatte, holte er einen Knochen aus der Tasche und fing an, daran herumzunagen, während wir aus der Schleuse tuckerten.
Zwanzig Minuten später hatten wir die letzte Schleuse passiert. Jamie und ich machten das Boot fest und wir stiegen aus.
Die Dorfbewohner hatten uns die ganze Zeit beobachtet und ich nutzte die Gelegenheit, sie mir genauer anzusehen. Sie waren alle ein wenig wie der Major und seine Frau – sehr höflich und zivilisiert. Sie sahen kein bisschen wie Überlebende aus. Wenn man die Tatsache außer Acht ließ, dass die Welt gerade unterging, konnte man sich gut vorstellen, von ihnen auf einen Drink oder eine Partie Bridge auf der Terrasse eingeladen zu werden. Es waren etwa fünfzehn Personen. Der Jüngste war der Junge, der Cosmo hieß und für uns die Schleusen bedient hatte. Ein Paar musste um die achtzig sein. Die anderen waren alle im mittleren Alter, und obwohl sie auf den ersten Blick sehr gesund gewirkt hatten, stellte ich jetzt fest, dass sie alle irgendwie etwas Abstoßendes an sich hatten. Es waren ihre Augen. Sie waren gerötet und blickten leicht glasig. Auch ihre Hautfarbe war merkwürdig. Irgendwie wächsern. Aber andererseits sah ich vermutlich auch nicht gut aus. Das tat keiner.
„Wir essen im Pub“, sagte der Major. „Alle werden Sie kennenlernen und hören wollen, was Sie hergeführt hat. Sagen wir um sechs Uhr? Da wir keinen Strom haben, neigen wir dazu, früh ins Bett zu gehen.“ Er sah den Reisenden an. „Es gibt ein paar Dinge, die ich gern mit Ihnen allein besprechen würde, wenn es Ihnen recht ist. Pas devant les enfants!“ Nicht vor den Kindern. Ich hatte genug Französisch gelernt, um das zu verstehen. „Darf ich vorschlagen, dass Sie um halb sechs zu uns kommen? Dann können sich die jungen Leute etwas später zu uns gesellen.“
„Wie Sie wünschen.“
„Hervorragend! Nun, jetzt wollen wir Ihnen die Gelegenheit geben, sich frisch zu machen. Wir sehen uns dann nachher. Ein wundervolles Boot. Morgen müssen Sie mir unbedingt alles zeigen …“
Der Major und seine Frau schlenderten davon und die übrigen Dorfbewohner gingen mit ihnen. Nur Cosmo blieb zurück und saß mit baumelnden Beinen auf einem der Schleusentore. Er machte ein unschuldiges Gesicht, aber ich fragte mich, ob er uns wohl bewachen und dafür sorgen sollte, dass wir nicht einfach wegfuhren.
Auch der Reisende war misstrauisch. „Hört zu“, begann er, als wir allein waren. „Es kann sein, dass diese Leute es gut meinen. Vielleicht wollen sie uns wirklich nur zum Abendessen einladen. Aber seid vorsichtig. Sie sehen gut genährt aus und haben überlebt – was bedeutet, dass sie schlauer sein müssen, als sie aussehen. Also bleibt die ganze Zeit wachsam.“
„Wollen Sie wirklich allein zu denen gehen?“, fragte Jamie, der darüber offensichtlich gar nicht glücklich war.
„Ich schätze, ich habe keine Wahl. Ich gehe vor und versuche herauszufinden, was hier los ist. Holly, nimm deine Waffe mit. Und sei bereit, sie zu benutzen.“
„Die haben uns etwas verschwiegen“, sagte Jamie. Genau dasselbe hatte ich auch gedacht, aber bei Jamie war
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