Horror Factory - Das Grab: Bedenke, dass du sterben musst! (German Edition)
dass es nicht das ist, was du angekündigt hast!«
Wir stehen uns gegenüber im ruppig kalten Herbstwind. Die Sonne lässt sich auch heute nicht richtig blicken. Fast so, als ertrüge selbst sie nicht, was hier unten am Boden – dem Grund und Boden des Crowley’schen Anwesens – geschieht.
»Edmond …«
Sein fein geschnittenes Gesicht, das Gesicht eines Künstlers, genau wie seine Hände die eines solchen sind (aber wen wundert es, er ist ein begnadeter Künstler, ein Maler, dessen Werke vor Elisabeth’ Tod Freude und Lebenslust verströmten, wohingegen die, die er heute malt – wenn er denn malt –, genauso trübsinnig, schwermütig und düster sind wie die Gedanken, die er wälzt).
Er wirft die Hände in die Luft. So theatralisch die Geste auch anmuten mag, sie entspringt seinem tiefsten Herzen. »Ja, ja, ich weiß – ich wollte nicht kommen, es war abgemacht. Abgemacht, dass du mich rufst, sobald du mich brauchst und wieder in der Lage bist, aus meiner Gegenwart Trost und Zuspruch zu ziehen. Aber darf ich offen sein?« Er lacht wild. »Was frage ich! Du bist doch auch offen zu mir, so brutal offen, dass ich seit zwei Nächten kein Auge mehr zugetan habe, weil …« Er schluckt. »Weil ich um unsere Freundschaft fürchte!«
»Das brauchst du nicht.« Wie hohl das klingt. Als würde ich selbst nicht daran glauben.
Er sieht mich an und durchschaut mich. Er hat mich immer durchschaut. So wie ich auch ihn.
»Was tust du nur?«, flüstert er mit hängenden Schultern, die Hände zu Fäusten geballt. »Ach, Arthur, was tust du nur dir selbst und denen, die dich lieben, an?«
Ich stehe immer noch da, das Haar vom Wind so zerzaust wie meine Seele vom Schmerz.
»Wer liebt mich denn?«, flüstere ich zurück. »Außer dir, meine ich. Wer noch liebt mich schon?«
»Und selbst wenn nur ich es wäre …« Seine Stimme gewinnt an Kraft. »Es könnte dir genug sein. Wenn wir beide uns gegenseitig stützen, wie wir es immer taten, dann …« Er scheint zu erschaudern. »Dann werden wir auch dieses tiefe Tal durchschreiten.«
Es sind diese immer gleichen Beschwörungsformeln, die wir seit Liz’ Tod Tag für Tag und Abend für Abend wiedergekäut haben, um uns gegenseitig unsere Treue zu versichern, die mich ermüden. Sie haben nicht – oder nicht mehr – die Macht, mich aufzurütteln. Stattdessen sehne ich mich, schon während wir hier stehen und sprechen, nach der Zweisamkeit mit einer Toten.
Ich stöhne dumpf, als fahre mir ein Dolch ins Fleisch. Es ist nicht so, dass ich nicht erkennen würde, wie mir allmählich das Gefühl für Wahrheit und Wirklichkeit entgleitet. Aber ich vermag nichts dagegen zu tun. Die letzten beiden Nächte bei und mit Elisabeth waren wie Balsam auf meine geschundene Seele.
»Ja, das werden wir. Komm, lass uns hineingehen. Bei einem Glas Portwein …«
Er entzieht sich der Umarmung, mit der ich ihn zum Haus hin lenken will. Sein Blick ist starr an mir vorbei auf die Familiengruft der Crowleys gerichtet.
»Wer ist dort, und was tut er? Dieses Gehämmere … es kommt aus dem Grab. Du kannst doch nicht zulassen, dass Lizzys …« Seine Stimme versagt. Für einen Moment ringt er um Luft, als hätte ihn ein Herzanfall ereilt. Dann strafft er sich und schiebt mich beiseite, stampft zur Gruft hin, wie eine Lokomotive auf unsichtbaren Schienen.
»Edmond!« Ich haste ihm nach, hole ihn ein, bevor er die Stufen erreicht. »Hör auf, dich hier zu gebärden, als wäre dies dein Besitz! Was hier geschieht, habe nur ich – ich allein! – zu verantworten. Geh jetzt. Geh und komm erst wieder, wenn du dein Mütchen abgekühlt hast und zu respektieren bereit bist, was ich gerade sagte!«
Ich stelle mich vor ihn und stemme die Hände in die Hüften.
Er schnaubt wie ein aufs Blut gereizter Stier. Ich kann seine Gedanken lesen. Und ich lese, dass ich zu weit gegangen bin.
Aber ich bin sicher, dass auch er in meinen liest und genauso unumstößlich erkennt: Ich werde nicht weichen. Ich werde nicht zulassen, dass er Meister Cunningham von meinem Grund und Boden jagt, und mag er Lizzys Ruhe noch so stören.
Wenn ich jemanden dafür um Vergebung bitten muss, dann sie – und das habe ich längst getan.
Nach Sekunden, die mir wie Stunden vorkommen, wendet sich Edmond jäh von mir ab und stampft den Weg zurück, den er gekommen ist.
Ich halte ihn nicht auf, obwohl ich es müsste. Wenn mir wirklich noch an unserer Freundschaft läge, müsste ich es. Aber der Starrsinn war seit jeher allen
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