Horror Factory - Die Herrin der Schmerzen
reagiere, nicht wahr? – Es hätte mir ein Leichtes sein sollen, die Dettopsomia einzufangen. Ich nahm also eine Fangkassette, näherte mich, wartete, bis sie sich mir zuwandte, sodass sie beim Fluchtversuch auf mich zufliegen musste, zählte langsam von fünf abwärts – und als ich bei zwei angekommen war, schnappte ein widerliches Fischmaul danach und vertilgte die Mücke.«
»Pech gehabt«, sagte Marco.
»Oh ja. Ich hatte Pech gehabt. Wie so oft in meinem Leben. Wieder war mir etwas durch die Lappen gegangen, was ich mit aller Leidenschaft haben wollte. Man hatte es mir gestohlen. Ein Fisch hatte es mir gestohlen!« Evi trommelte nervös gegen den Türstock, an dem sie sich abstützte. »Ich kann sehr böse werden, wenn man mir etwas vorenthält.«
Sie wandte sich nun endlich von ihm ab und betrat den Raum, tastete nach einem Schalter und betätigte ihn. Licht flammte auf.
»Ich mag es nicht, wenn man mir etwas wegnimmt!«, sagte sie und tat eine Bewegung mit ihrer Rechten, die alles zu umfassen schien, was sich im Saal befand. Und das waren: Fische. Goldfische in jeder Größe.
*
Es waren Hunderte. Tausende. Sie klebten an den Wänden, waren in feinste Scheiben geschnitten und plastiniert, zerteilt, entgrätet worden, lagerten hier in Form seltsamster Kunstwerke, manchmal auch achtlos in Tonnen geschmissen und mit einer Folie überzogen, die einen Betrachter das Verfaulen des Fleisches in den verschiedensten Stadien miterleben ließ.
»Du … du bist völlig irre, Evi.«
»Findest du?« Sie betrachtete ihn. Lauernd und mit glänzenden Augen. »Ich wurde betrogen, Marco. Man hat mir etwas weggenommen, das mir gehörte! Das mag ich nun mal nicht.«
Er wanderte die Reihen leerer Aquarien entlang. Auf den Kiesböden lagen verendete Goldfische. Zwei von ihnen waren halb voll, in einem weiteren stand gerade noch so viel Wasser, dass die Tiere davon bedeckt waren. Einige von ihnen bewegten sich wie irre und platschten umher, auf der Suche nach einem Ausweg aus ihrer grässlichen Lage.
»Ich komme immer wieder hierher und beobachte sie in ihrem Todeskampf.« Evi sah versonnen zu, wie einer der Goldfische einen verzweifelten Sprung tat, als wollte er über den viel zu hohen Beckenrand gelangen. »Ich lasse es Stunden dauern, bis ein Aquarium leergepumpt ist. Die Goldfische wissen lange Zeit nicht, was sie erwartet. Irgendwann einmal wird eines der Tiere unruhig, meist ein Weibchen. Es steckt alle anderen an. Sie verfallen in kollektive Panik, schwimmen wie wild umher, suchen nach Auswegen. Wenn das Wasser zu wenig wird, legen sich manche von ihnen flach hin und versuchen, dem Unausweichlichen zu entgehen. Andere lassen den Tod einfach kommen. Die Männchen geben stets früher auf. Doch manchmal fällt eines von ihnen über eine Artgenossin her und befruchtet es, im Angesicht ihres Todes. Es unternimmt eine letzte Anstrengung, einem seltsamen Instinkt gehorchend.«
»Mir ist übel«, sagte Marco.
»Das ist das Cyclobarbital, das ich dir verabreicht habe.« Evi zog an einem Hebel, die Wasserreste wurden aus dem Aquarium geschwemmt, die Tiere verendeten. »Es wirkt narkotisierend und hypnotisierend. Die Übelkeit ist eine Nebenwirkung, die bald wieder vergehen wird.«
»Was redest du da, Evi? Bist du jetzt völlig durchgedreht …?«
»Das Barbital macht dich langsam und beeinflussbar, Marco.« Evi klopfte gegen die Scheibe, als wollte sie die Fische auffordern, noch wilder um sich zu schlagen, noch intensiver um ihr Leben zu kämpfen. »Du hattest eine erste Dosis im Abendessen. Der Fick danach beschleunigte die Wirkung. Er sorgte dafür, dass die Giftstoffe möglichst rasch in die Blutbahnen gelangten und sich dort verteilten. Im Tee habe ich dir eine weitere Dosis verabreicht, die allmählich den Höhepunkt ihrer Wirkung erreichen sollte.«
»Tut mir leid, Evi, aber ich habe genug von deinen seltsamen Scherzen. Ich gehe jetzt …«
»Nein, tust du nicht!«
Sie brüllte die Worte. Sie taten in seinen Ohren weh, in seinem Kopf, in seinem Innersten. Sie bewirkten, dass seine Beine zu zittern begannen und er sie nicht mehr bewegen konnte.
»Wir haben noch längst nicht alles gesehen, Marco. Ich werde dich erst entlassen, wenn diese Besichtigung zu Ende ist.«
»Na schön …« Verdammt, was war bloß los mit ihm? Evis Stimme klang so anheimelnd und verführerisch, die Welt rings um ihn war dank ihr einfach nur schön. Sie redete seine Bedenken beiseite und sorgte dafür, dass er sich keine Sorgen mehr
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