Horror Factory - Die Herrin der Schmerzen
wie du es sagst: Ich habe vor fast zwanzig Jahren mit meinen entomologischen Arbeiten aufgehört.«
»Und warum? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man von einem Tag auf den anderen das Interesse an einem Hobby verliert.«
»Aber es war so. Ich hatte etwas Neues für mich entdeckt.«
Marco gähnte. »Sag, können wir die Führung für heute abbrechen? Ich bin schrecklich müde.«
Evi zog einen Schmollmund. »Ein bisschen noch. Bitte! Ich möchte dir doch zeigen, wer und was ich bin!«
Er grinste. Wenn sie so treuherzig dreinblickte, konnte er ihr unmöglich widerstehen. Also ließ er sich von Evi an der Hand aus dem Raum führen. Das Licht erlosch, sie standen wieder auf dem Gang, sie zog ihn weiter hinter sich her, durch eine Glastür hinaus ins Freie.
Marco atmete tief durch. Die Luft war frisch, und hätte er es nicht besser gewusst, hätte er geglaubt, irgendwo auf einem Bauernhof zu sein.
»Riechst du die Linde?«, fragte Evi.
Marco schnüffelte. »Nein«, antwortete er.
»Sie wird in den nächsten Tagen zu blühen beginnen. Ich weiß es.« Sie hakte sich bei ihm unter und schob ihn nun vorwärts, auf den Brunnen zu. Die marmorne Einfassung war beleuchtet. Auch im Gipssockel staken Lampen hinter Glas, die das Wasser aufhellten. Etwa zwei Dutzend Goldfische trieben umher, unregelmäßig mit den zweigeteilten Schwanzflossen schlagend.
»Sind sie nicht schön?«, sagte Evi ohne viel Begeisterung, und noch bevor Marco antworten konnte, fuhr sie fort: »Sie gehören zur Familie der Karpfenfische und sind die ältesten Haustiere, die ohne wirtschaftlichen Nutzen gehalten werden. In China hat man vor über tausend Jahren mit der Zucht begonnen.«
Sie schob eine ihrer Hände ins Wasser, so langsam und geduldig, dass die Bewegungen kaum wahrzunehmen waren. Einer der Fische kam darauf zugeschwommen. Er öffnete und schloss das Maul, immer wieder, knabberte an ihren Fingern und verlor bald wieder das Interesse an diesem ungewöhnlichen Objekt.
»Sag bloß, du züchtest auch Goldfische?«, fragte Marco.
»Nein, nicht mehr. Ich halte sie mir bloß. In einigen Großaquarien, die ich dir anschließend zeigen möchte.«
»Wo liegt da der Unterschied?«
»Sie erfüllen einen gewissen Zweck. Und sie erinnern mich an etwas. Komm jetzt!« Evi zog ihn weiter, in den nächsten Trakt, der sich links neben dem Eingangstor befand.
»Goldfische sind außerordentlich anpassungsfähig. Eigentlich leben sie im Süßwasser, aber sie haben in den letzten Jahrzehnten auch Brackwasserbereiche erobert. Man findet sie auf jedem Kontinent, es gibt weltweit Zuchtfarmen.« Evi öffnete die mit einem Vorhängeschloss gesicherte Tür. »Goldfische sind übrigens Allesfresser. Sie können mit Trockenfutter ernährt werden, aber auch mit Insekten, von Larven über Krebse bis hin zu … Fliegen.«
Sie legte den Arm quer über den Durchgang und versperrte ihm den Zugang. »Es ist mir immens wichtig, dass du verstehst, was du rings um dich siehst, Marco. Nur dann kann ich die Dinge verzeihen, die du mir während der Schulzeit angetan hast.«
»Musst du denn dauernd auf diesem leidigen Thema herumreiten? Ich dachte, das hätten wir längst hinter uns?«
»Du hörst mir zu! Verstanden?«
Marco seufzte und nickte dann. Er war zu müde, um mit Evi zu streiten. Er wollte bloß noch schlafen. Je eher er nachgab, desto rascher würde er ins Bett kommen.
»Ich hatte also in meiner Jugend diese Manie für Insekten. Ich sammelte sie in Massen und fand Freude darin, sie zu kategorisieren, zu katalogisieren. Meine Sinne wurden geschärft, und ich war gut darin, eine gewöhnliche Stubenfliege von einem außergewöhnlichen Exemplar zu unterscheiden und dieses meiner Sammlung hinzuzufügen.«
Evi blickte durch ihn hindurch, verhangen in einer Erinnerung an längst vergangene Tage. »Eines Tages entdeckte ich in Bad Ischl in der Nähe eines Fischteichs eine Mücke der Familie der Drosophilinae Dettopsomia. Ein einzigartiges Insekt. Es umschwirrte mich und setzte sich dann am Rand des Teichs nieder, sodass ich es genauer in Augenschein nehmen konnte.«
Evi holte tief Luft. »Es handelte sich um ein besonders schönes und seltenes Exemplar, das in unseren Breitengraden kaum bekannt ist. Ich hatte meine Ausrüstung wie immer mit. Ich machte mich bereit, das Tier zu fangen. Es bewegte sich ein wenig, bevor ich es fangen konnte, und ließ sich auf der Wasseroberfläche nieder, nur wenige Zentimeter von mir entfernt. – Du weißt, wie flink ich
Weitere Kostenlose Bücher