Horror Factory - Glutherz
besaß ein rundes, feistes, wie von Fett glänzendes Gesicht mit dicken Lippen. Es schien, als habe ihn das Dunkel des Himmels geboren. Wie ein böser Engel kam er herabgeschwebt.
Die dunklen Gestalten machten ihm ehrerbietig Platz.
Ein Kreis entstand, und er senkte seinen Körper langsam auf die freie Stelle vor mir und blickte auf mich herab.
Plötzlich herrschte Stille. Die Kälte kroch unter meine Kleider. Sie war so stark, dass sie mich lähmte.
Alles war so schnell gegangen, dass ich nicht daran gedacht hatte, nach der Spieluhr zu greifen. Und nun konnte ich es nicht.
Es gelang mir nicht, den Blick von Coppelius abzuwenden. So hässlich er war, so ausdrucksvoll waren seine Augen. Ich fragte mich, ob er die Technik des Hypnotisierens beherrschte. Wenn das der Fall war, war ich verloren.
»Olympia, wie schön, dass wir uns endlich einmal kennenlernen.«
Seine Stimme war überraschend hoch. Aber sie war kräftig und schneidend laut.
»Du scheinst bereits viel Kraft entwickelt zu haben. Das ist gut. Spalanzani hat ganze Arbeit geleistet.«
Er beugte sich herunter. Und da streifte mich ein ekelhafter Geruch, der seinem Atem entstammen musste.
»Spalanzani. Der Mann, der dich geschaffen hat. Er ist übrigens in meiner Gewalt. Es wäre also gut, wenn du deinen Widerstand aufgibst und einfach mitkommst.«
Widerstand?, dachte ich. Ich leiste doch gar keinen Widerstand.
Oder gab es irgendetwas, das Coppelius daran hinderte, mich einfach mitzunehmen? Mich zu entführen wie Professor Spalanzani? Es muss eine innere Kraft sein, dachte ich. Will er, dass ich mich ihm freiwillig untertan mache?
Darauf konnte er lange warten.
Irgendwo hinter der Menge der Schatten ertönte ein Schrei. Er musste von Doktor Wilhelmina kommen.
In mir ballte sich eine Kraft zusammen, die ich vorher nicht gekannt hatte. Der Frost in meinen Gliedern verschwand.
Wieder schrie die Doktorin auf – gefolgt von einem hässlichen Knall. Was machten sie mit ihr?
Meine Finger bekamen die Spieluhr zu fassen. Seltsam – sie fühlte sich ganz warm an.
Ich drehte die Kurbel. Die silbrige Melodie schien sich in die Luft zu ergießen wie ein feiner Duft oder ein Nebel, der sich schnell überallhin verbreitete.
Das falsche Lächeln auf Coppelius’ Gesicht verschwand. Stattdessen verzog er es zu einer furchtbaren Grimasse – als leide er schreckliche Schmerzen. Dazu hielt er sich die Hände an die Ohren.
»Stell das ab«, ächzte er. »Ich beschwöre dich, stell das ab …«
Wie eine schwarze Meereswoge wurde auch die Schattenarmee von den Klängen heimgesucht, die immer lauter zu werden schienen. Die Schatten vereinten sich zu einer einzigen dunklen Masse, die nach oben strebte wie eine finstere Flamme und ein riesiges Herz formte. Kein Herz wie meins – rot leuchtend und strahlend, sondern dunkel und alles Licht um sich herum schluckend. Das schwarze Herz stand eine Weile still, dann löste es sich auf wie Rauch.
Der gesamte Himmel schien auf einmal für ein gewaltiges Echo der Melodien zu sorgen, die aus der kleinen Spieluhr kamen. Ich staunte, wie kraftvoll und klar die Klänge waren. Wie eine Kuppel aus Tönen legten sie sich über die ganze Stadt, und sie trugen Coppelius nach oben, immer weiter und weiter, wobei sein Gejammer und Geschrei nach und nach leiser wurde.
Plötzlich sah ich kein Theaterdach mehr, keine Häuser, keine Laternen. Dafür war ich von Sternen umgeben – kleinen weißen, leicht flackernden Punkten im endlosen All. Es schien, als habe die Musik, die ich mit meiner kleinen Kurbel erzeugte, in diesen Weiten des Universums ihren idealen Konzertsaal gefunden. Nach einer Weile wurde mir klar, dass sich die Sterne langsam bewegten, dass sie immer wieder neue Konstellationen bildeten und dabei den harmonischen Gesetzen meiner Musik zu gehorchen schienen.
Meiner Musik?
Nein, es war nicht meine Musik. Ich war nur der Automat, der einen anderen Automaten bediente. Auch wenn ich denken und träumen konnte, wenn ich Visionen und Wünsche hatte, so war ich immer noch kein wirklich erschaffenes Wesen, aber ich war immerhin in der Lage, die Wunder der Schöpfung, die Geheimnisse des Kosmos zu erkennen.
Seltsame Gedanken waren das, die mir durch den Kopf gingen. Und so einsam ich in der unendlichen Weite des Raumes war, so feindselig doch die Umgebung eigentlich hätte sein müssen – ich hatte keine Angst. Die Musik gab mir Trost. Sie schützte mich. Und sie sorgte für ein gutes Gefühl in meiner Seele.
Meiner
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