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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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überlagert.
    Ich ließ nachdenklich das Blatt sinken, das ich gerade in der Hand hielt. Es war der Stadtplan. Plötzlich ertönte ein lautes, schrilles Geräusch. Ein Klingeln.
    Ich erschrak. Was sollte das bedeuten?
    Hastig faltete ich den Plan zusammen. Leider hatte mein Rock keine Tasche, so verbarg ich das zusammengefaltete Papier in meinem rechten Strumpf.
    Wieder ertönte das Geräusch. Ich tastete zu der Schreibtischlampe und löschte das Licht.
    Dann schlich ich zur Vordertür, die in der Mitte aus milchigem Glas bestand. Draußen standen zwei Gestalten.
    Coppelius’ Schatten!
    Was verursachte das seltsame Geräusch? Als sich die beiden Schatten bewegten und es kurz darauf wieder ertönte, wurde mir klar, dass sie von draußen etwas bedienten, das ihre Ankunft anzeigte. Als Ersatz fürs Klopfen.
    Würden sich Coppelius’ Schatten so verhalten? Sie wären doch wahrscheinlich einfach hereingekommen.
    Jetzt wechselten die beiden ein paar Worte, die ich nicht verstand.
    Ich ging zu dem Fenster, durch das ich hereingelangt war, und kletterte ins Freie. Vorsichtig schlich ich zu der Ecke neben dem Eingang. Die beiden Männer gingen gerade zu einem Auto zurück, mit dem sie wahrscheinlich gekommen waren. Sie trugen dunkle Uniformen mit Schirmmützen. An ihren Gürteln glänzte etwas Metallisches. Auf dem Auto konnte ich das Wort »Polizei« lesen.
    Als sie weggefahren waren, machte ich mich auf den Weg.
*
    Mein Marsch durch die Stadt war wieder von dem raschen Wechsel der Szenerien begleitet. Doch da ich nun wusste, was dahintersteckte, machte es mir nicht mehr so viel Angst.
    Ich verstand, dass Berlin eine wechselhafte Geschichte besaß. Es hatte Krieg und Zerstörung erlebt, aber auch glanzvolle Zeiten von Wiederaufbau und einer gewissen Idylle. Vor allem die Zeit, aus der ich kam, in der Hoffmann gelebt hatte, musste so eine Idylle gewesen sein. Mir gefiel sie am besten, und ich freute mich, wenn ich die brutalen Kriegszerstörungen hinter mir lassen konnte.
    Einmal hatte ich das Gefühl, ich hätte mich verlaufen. Ich gelangte an einen hässlichen Betonwall, der nicht zu überwinden war. Lange wanderte ich an ihm entlang, bis ich eine Art Grenzstation fand, wo bewaffnete Männer in grauen Uniformen Wache standen und die vereinzelten Autos kontrollierten, die auf dem Weg durch die Mauerlücke waren. Ich wagte nicht, an ihnen vorbeizugehen. Bisher hatte ich den Eindruck gehabt, dass mich niemand in den Welten um mich herum sehen konnte – mit Ausnahme von Doktor Wilhelmina. Aber ich wollte mich nicht darauf verlassen. So wartete ich zwischen dunklen, mit seltsamen bunten Figuren bemalten Mauern, bis sich das Bild wieder änderte. Bis ich im Schein der vertrauten Laternen meinen Weg fortsetzen konnte.

5
    Immer wieder studierte ich Doktor Wilhelminas Stadtplan. Er stammte aus der Zeit, in der ich lebte – nicht aus ihrer Zeit. So konnte ich mich damit zurechtfinden. Ich gelangte an den Rand der Stadt – in eine Gegend, wo die Häuser weniger prachtvoll, sondern klein und niedrig waren. Hier gab es kein Pflaster mehr auf den Straßen, und der Regen, der niedergegangen war, sorgte dafür, dass ich schlammige Pfützen durchqueren musste. Immer wieder wanderte ich an Holzzäunen vorbei, die dunkle, unbebaute Flächen begrenzten.
    Und dann stand ich vor Spalanzanis Haus.
    Jedenfalls war ich sicher, dass es sein Haus war.
    Links und rechts ging steil das Dach herunter. Über der Tür und dem einzigen Fenster des Erdgeschosses gab es eine kleine dunkle Luke, die aber eng zwischen den Dachflächen eingekeilt war.
    Die Tür war nicht abgeschlossen. Dahinter herrschte Dunkelheit und Stille. Ein eigenartiger Geruch kam mir entgegen. Ein Geruch, der mir vollkommen neu war – und der mich erschreckte.
    Stechend und faulig zugleich. Nach vermodernden Pflanzen. Oder nach etwas Verdorbenem. Ich konnte ihn nicht zuordnen.
    Ich musste die Tür schließen. Wenn zufällig jemand vorbeikam, würde es verdächtig aussehen, wenn sie offen stand. Aber dann hatte ich noch weniger Licht.
    So wartete ich – umgeben von dem feindseligen Gestank.
    Meine Augen begannen, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Einzelne Konturen tauchten auf. Einfache Möbel in einer Stube. Eine erloschene Feuerstelle, über der ein Kessel hing. Ein Herd.
    Es war das erste Mal, dass ich erlebte, wie sich die Augen eines Menschen bis zu einem gewissen Grad anpassen konnten.
    Und das hieß doch nichts anderes, als dass ich auf dem besten Weg war, ein Mensch zu

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