Horror Factory - Pakt mit dem Tod
wenn es so weit war.
Um nicht aufzufallen, ging Herman zwar schnell, hütete sich aber, wirklich zu rennen. Dennoch brauchte er nicht lange, um das Ende der kleinen Ortschaft zu erreichen und auf den schmalen Feldweg abzubiegen, der zur Scheune führte. Er widerstand der Versuchung, sich immer wieder sichernd umzublicken – es gab kaum eine sicherere Methode aufzufallen, als sich möglichst unauffällig verhalten zu wollen –, war sich aber darüber im Klaren, dass er nicht unbemerkt bleiben würde. So klein Milton auch sein mochte, geschah hier nichts, das nicht von irgendjemandem beobachtet wurde. Dennoch war er zuversichtlich. Sein mächtiger Verbündeter würde ihm auch diesmal helfen. Und obwohl seine Erregung mit jedem Schritt wuchs, den er sich der aufgelassenen Scheune näherte, hatte er immer noch keine Angst.
Vielleicht war das das größte Geschenk, das ihm sein stummer Verbündeter gemacht hatte.
In den ersten Jahren seines Lebens war die Furcht sein treuester Begleiter gewesen; Angst vor seinem Vater, Angst vor seinen älteren Geschwistern und der schweren Arbeit in der Scheune, Angst vor dem Winter und den langen und kalten Nächten, die gar zu oft nicht nur Dunkelheit und das Heulen des Windes brachten, sondern auch Hunger, noch mehr Angst vor seinem Vater und selbst vor seiner Mutter, obwohl sie sich dessen weder bewusst war noch es gar verdient gehabt hätte, Angst vor dem Rascheln des Windes in den Baumwipfeln und dem Flüstern der Geisterstimmen, die er mit sich brachte, Angst vor Schatten und selbst vor seinem eigenen Spiegelbild im Wasser, das manchmal zersprang und zu einer zitternden Dämonenfratze wurde, und noch einmal und noch mehr Furcht vor seinem Vater. Seit jenem schicksalhaften Tag in Estans Praxis kannte er nichts mehr von alledem. Der Lederriemen seines Vaters hatte ihn oft genug daran erinnert, dass es nicht klug war, die Angst ganz zu vergessen, aber dabei handelte es sich wohl mehr um aus Vernunft geborenem Respekt. Solange er seinen Teil des Paktes einhalten würde, wenn es an der Zeit war, gab es nichts auf dieser ganzen Welt, was er fürchten musste oder ihm gar gefährlich werden konnte.
In solcherlei Überlegungen versunken, erreichte er die aufgelassene Scheune, die sie zu ihrem geheimen Treffpunkt gemacht hatten. Schon von Weitem hörte er Matthews Lachen, und noch bevor er das Gebäude ganz erreicht hatte, stieg ihm der Geruch von brennendem Zigarettentabak in die Nase. Matthew und Frank unterhielten sich lachend und so laut, dass man ihre Worte schon draußen hören konnte – wenn auch nicht verstehen –, und hatten sich auch sonst keinerlei Mühe gegeben, ihre Anwesenheit zu verbergen. Die Tür stand offen, überall lagen Dinge herum, die eigentlich nicht hierhergehörten, und gleich hinter dem Eingang war ein unregelmäßiges Rund aus weißer Asche und ausgeglühten Steinen auf dem Boden, wo sie ein Feuer entfacht und irgendetwas gegart hatten. Wäre heute ein normaler Tag gewesen, hätte das Herman Anlass zu einer neuerlichen Strafpredigt gegeben. Ihr geheimer Treffpunkt war kein wirkliches Geheimnis, so etwas gab es in Milton nicht, wohl aber etwas, das geduldet wurde, solange alle im Ort einigermaßen überzeugend so tun konnten, als wüssten sie nichts davon. Es gab Spielregeln, die zu beachten Herman schon vor langer Zeit als klug erkannt hatte – ganz davon abgesehen, dass die Chancen dieser beiden Dummköpfe nicht schlecht standen, irgendwann das ganze Gebäude abzubrennen, wenn sie wieder einmal mit ihrem geliebten Feuer spielten.
Herman dachte diesen Gedanken aber nicht einmal ganz zu Ende, denn heute war kein normaler Sonntag.
Er blinzelte ein paarmal, damit sich seine Augen an das schwache Dämmerlicht hier drinnen gewöhnten, ging langsam weiter in die Richtung, aus der Matthews Lachen kam und wich dabei instinktiv allerlei Hindernissen aus, die in den Schatten verborgen nur darauf warteten, ihn zum Stolpern zu bringen oder ihre scharfen Kanten in sein Fleisch zu beißen. Die Scheune war schon vor einem Menschenalter aufgegeben worden, aber hier lagen überall noch zerbrochene Werkzeuge, Abfälle und hundert andere Dinge herum, die von ihren ehemaligen Besitzern des Mitnehmens nicht für wert befunden worden waren. Weder Frank noch Matthew waren jemals auf die Idee gekommen, das Durcheinander aufzuräumen, und nachdem Herman sein anerzogenes Gefühl für Ordnung und Sauberkeit erst einmal überwunden hatte, musste er zugeben, dass es sich dabei um
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