Horror Factory - Teufelsbrut (German Edition)
Eric. Er kannte Seans Geschichte. Sie hatten Kontakt gehalten, nachdem Sean seinerzeit den Mörder verscheucht hatte; daran konnte Eric sich zwar nicht mehr erinnern – seine Erinnerung reichte nur bis zu dem Punkt, als Sean aufgetaucht war und der Killer von ihm abgelassen hatte, und sie setzte wieder ein, als Seans Gesicht nach seiner stundenlangen Operation das Erste gewesen war, das er an seinem Krankenbett gesehen hatte. Danach hatte Sean sich um ihn gekümmert – jedenfalls bis er ins Getriebe sozialer und medizinischer Institutionen geraten war, das ihn letztlich in Haven House auf Orcas Island ausgespuckt hatte.
»Du hättest doch jederzeit woanders neu anfangen können«, spann Eric das angefangene Thema weiter. »Du warst nicht vorbestraft …«
»Wenn ich weggelaufen wäre, hätte man mir das als Eingeständnis einer Schuld ausgelegt, die ich nie auf mich geladen habe«, erklärte Sean seine vielleicht etwas verquere, aber doch nachvollziehbare Logik.
»Wenn alles so klappt, wie ich mir das denke, profitierst am Ende auch du davon«, stellte Eric in Aussicht. »Wenn der Killer endlich geschnappt wird, ist auch deine Unschuld zweifelsfrei bewiesen.«
Sean verschluckte sich an seiner Coke. Er hustete, wischte sich aus dem Gesicht, was ihm aus der Nase gelaufen war, und dann die Hand an der Hose ab. »Soll das heißen, du bist zurückgekommen, um … ja, um was eigentlich?« Er lachte auf, aber es klang ganz und gar nicht belustigt. »Du musst verrückt sein. Offenbar hat damals doch mehr Schaden genommen als nur deine Haut. Wie stellst du dir das vor?« Wieder schüttelte er den Kopf.
Eric wollte zu einer Antwort ansetzen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung vor dem Fenster wahrnahm. Flackerndes Licht geisterte draußen durch die Dunkelheit, nicht das weiße des Leuchtturms, sondern in Rot und Blau.
Er hob die Hand. »Warte eine Sekunde, dann brauche ich das Ganze nur einmal zu erklären.«
Er stand auf und ging zur Haustür, die er in dem Moment öffnete, als es klingelte.
»Sheriff Baxter? Guten Abend.«
Die schwarzhaarige Frau, Ende dreißig, das Gesicht von eher herber Schönheit, hielt den Hut, der zu ihrer Uniform gehörte, in den Händen.
»Guten Abend … Mister Anderson? Eric Anderson?«
»Der bin ich. Und ich habe Sie schon erwartet, Ma’am.« Eric lächelte.
»Ach?« Sheriff Baxter erwiderte das Lächeln. Es erlosch, als sie Sean Walsh sah, der aus dem Wohnzimmer heraus und hinter Sean getreten war.
»Polly.« Er nickte ihr zu.
»Sean.« Ihr Ton war kalt und blieb es. »Komisch, überrascht mich gar nicht, dich hier zu sehen.«
»Ich wünschte, es würde Sie auch freuen«, warf Eric ein. Es klang ehrlich bedauernd. Er mochte Sean. Nicht nur, weil er ihm sein Leben verdankte.
Ein eisiger Blick aus Polly Baxters dunklen Augen traf ihn. »Halten Sie sich da raus, Mister Anderson. Sie wissen nicht, wovon Sie reden.«
Das stimmte nicht. Eric wusste sehr wohl, was Sean Walsh und Polly Baxter verband, oder besser gesagt, was sie entzweite. Aber er ging nicht weiter darauf ein. Deshalb war er nicht gekommen.
Als hätte sie ihm den Gedanken vom Gesicht abgelesen, fragte Sheriff Baxter ohne Umschweife: »Warum sind Sie hier, Mister Anderson?«
»Um Ihnen ein Angebot zu machen«, antwortete er ebenso direkt.
»Eines, das ich nicht ablehnen kann?«, versuchte sie sich an einer etwas spöttischen Bemerkung.
»Eines, das Sie nicht ablehnen sollten, Ma’am – weil damit allen geholfen wäre.«
*
Eric hatte Sheriff Baxter ins Haus gebeten, um ihr sein Angebot zu erläutern, aber sie hatte darauf bestanden, dass er sie aufs Revier begleitete. Nicht zur Demonstration ihrer Macht – selbst Polly Baxter stand über derlei Spielchen –, sondern weil sie von dort aus eine Suche nach zwei heute Abend verschwundenen Jungs zu leiten hatte.
»Wer sind die beiden?«, fragte Sean Walsh während der Fahrt vom Rücksitz des Dienst-SUVs aus. Sie war überraschenderweise ohne Widerrede einverstanden gewesen, dass er mitkam. Eric vermutete, weil sie dann wenigstens wusste, wo Walsh sich aufhielt. Offenbar galt er auch jetzt wieder, im Zusammenhang mit dieser jüngsten Mordserie nach alter Strickart, als irgendwie verdächtig. Einmal in Ungnade gefallen, blieb man in kleinen Städten wie Big Rock Falls ewig der Sündenbock.
Sheriff Baxter schien kurz zu überlegen, ob sie ihm die Namen nennen sollte. Dann mochte sie zu dem Schluss gekommen sein, dass er die beiden ja gesehen haben könnte, und
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