Hotel Mama vorübergehend geschlossen
ihr nichts mehr einfiel. Der Zufall kam ihr in Gestalt einer Mutter mit zwei Kindern zu Hilfe, die sich nicht einigen konnten, ob sie nun lieber Schwarzer Peter oder Memory spielen wollten. Als der verbale Streit in Handgreiflichkeiten ausartete, verließ Frau Antonie den Raum, nicht ohne mit einem beziehungsreichen Blick zu den kleinen Radaubrüdern festzustellen: »Kinder gleichen den Lotterielosen. Viele bleiben ungezogen.«
Frau Klaasen-Knittelbeek trabte hinterher. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung! Was halten Sie davon, wenn wir uns in den kleinen Salon zurückziehen?«
Frau Antonie hielt viel davon.
»Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, weshalb der Five-o'clock-Tea überall schon um vier Uhr serviert wird«, sagte Frau Klaasen-Knittelbeek und orderte welchen. »Sogar in London ist das üblich.« Frau Antonie nickte zustimmend, obwohl sie noch niemals in England gewesen war.
Bei Earl Grey und Heidelbeer-Muffins war man sich schließlich nähergekommen. Frau Antonie erzählte von Ernst Pabst und seinem Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt hatte, von ihrem Sohn Karsten und den beiden Juweliergeschäften in Düsseldorf, und Frau Klaasen-Knittelbeek brachte ihren Alfons ins Gespräch, ohne jedoch näher auf dessen so wenig elegante Art des Geldverdienens einzugehen. Auch datierte sie das Todesdatum ihres Gatten um zwei Jahrzehnte nach vorne, weil ihr das seriöser erschien als die Tatsache, seit 43 Jahren verwitwet zu sein.
Die Damen Reutter, Helmers und von Rothenburg hatten die neue Freundschaft, die auch nach der Reise weiter gepflegt wurde, zunächst mit Wohlwollen betrachtet, zeigte sie doch, daß Frau Antonie wieder am gesellschaftlichen Leben teilnahm. So schluckten sie auch noch ihre Absage für den ersten Canasta-Abend nach der Reise sowie ihre Weigerung, die Busfahrt nach Brüssel mitzumachen, da sie bereits anderweitig verabredet sei, doch als sie auch dem Nachmittagskaffee fernblieb, bei dem man gemeinsam die Urlaubsfotos betrachten wollte, wurde Frau Helmers mißtrauisch. »Ist sie denn nur noch mit dieser Knottelmann zusammen?«
»Knittelmann«, korrigierte Frau Reutter und erzählte, daß sie eben diese in Begleitung von Frau Antonie an der Theaterkasse getroffen hatte. »Antonie würde niemals freiwillig in ein Musical gehen!« schnaufte sie und fächelte sich mit dem Taschentuch Luft zu. »Sie hat immer gesagt, daß ihr diese moderne Form der Operette nicht liegt.«
Frau von Rothenburg bemerkte, für sie selber käme nur die Oper in Frage, doch das sei letztendlich Geschmacksache, und ob es nicht opportun erscheine, die Dame Klaasen-Knittelbeek einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. »Mein Neffe arbeitet doch bei der Kriminalpolizei.« Daß er dort Pförtner war, verschwieg sie allerdings. Doch auch Pförtner kennen Leute, die an der richtigen Stelle sitzen, und so dauerte es nur wenige Tage, bis Frau von Rothenburg ihren Freundinnen mitteilen mußte, daß gegen Frau Klaasen-Knittelbeek bedauerlicherweise rein gar nichts vorläge. Nicht mal ein paar Punkte in Flensburg.
Nach dem Theaterabend, der aus Frau Antonie eine begeisterte Anhängerin von Musicals machte, hatte Frau Klaasen-Knittelbeek noch zu einem kleinen Imbiß in eine Weinstube geladen, doch als sie gegen Mitternacht ein Taxi bestellen wollte, weil »ich wohl ein Glas zuviel getrunken habe, um noch selber fahren zu dürfen«, bot ihr Frau Antonie spontan das Gästezimmer an. »Das dürfen Sie mir auf keinen Fall abschlagen, liebe Dorothee«, hatte sie gesagt, »ich wäre im Gegenteil froh, einmal nicht allein frühstücken zu müssen.«
Die liebe Dorothee akzeptierte diesen Vorschlag nur zu gern, hatte sie doch schon die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet, Frau Antonies ›kleines Häuschen‹ in Oberkassel zu besichtigen. »Erwarten Sie nicht zu viel, meine Liebe«, sagte die, während sie dem Taxifahrer die Adresse nannte, »es ist nur ein Reihenhaus, etwas Größeres hätten wir uns damals gar nicht leisten können, und später, als das Geschäft richtig gut lief, wollten wir nicht mehr weg. Warum auch? Die Kinder waren bereits aus dem Gröbsten heraus und verließen bald darauf das Elternhaus, und für Ernst und mich steckte das Haus voller Erinnerungen, die wir nicht mehr missen wollten.« Frau Antonie schluchzte leise und schnaubte dann nachdrücklich in ihr Taschentuch. »Seit einiger Zeit trage ich mich allerdings mit dem Gedanken, das Haus zu verkaufen. Es ist einfach zu groß für mich allein, und
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