Hotel van Gogh
Theo, nach einer Weile gibt er vom Sessel aus Anweisungen, schließlich schaut er nur noch teilnahmslos zu.
Unvermittelt fühlt sich Theo alt. So alt wie ihm Vincent am Ende erschien. Das Leben läuft weiter, die Jugend kommt ohne ihn aus.
Das Interesse an der Ausstellung ist groß. Theos Stimmung schlägt auch sofort um, bis es ihn ermüdet, die Bilder immer wieder aufs Neue zu erklären. Er überlässt es Johanna, die Besucher durch die Räume zu führen. Beim Besuch von Doktor Gachet ist er kaum in der Lage, sich aus dem Sessel zu erheben. Der Arzt sieht ihn prüfend an.
»Befindet sich Ihr Mann in ärztlicher Behandlung?«, fragt er Johanna.
»Er nimmt die Medizin gegen den Husten, die ihm der Arzt in Holland verschrieben hat. Anfänglich hat das Mittel ja geholfen, aber seit einiger Zeit geht es mit ihm immer mehr bergab.«
Dr. Gachet rät dringend, die Medizin abzusetzen. Theos Zustand verbessert sich daraufhin schlagartig. Johanna schöpft Hoffnung, das Schlimmste überstanden zu haben. Theo geht wieder regelmäßig zur Arbeit in der Galerie, abends führt er Besucher durch die Ausstellung in ihrer Wohnung. Das Kind ist gesund. Ihr Leben in Paris erscheint Johanna plötzlich wie eine Insel der Ruhe nach einem verwüstenden Orkan.
Aber der Friede ist nicht von Dauer. Theos nervliche Anspannung kehrt zurück, seine Stimmung wechselt zwischen Niedergeschlagenheit und aufbrausender Streitsucht. An einem Nachmittag Anfang Oktober erscheint er ungewöhnlich früh zu Hause.
»Ich habe ihnen die Kündigung hingeschmissen, den Herren Boussod und Valadon! Sie behandeln mich wie einen Lehrjungen, dabei bin ich der Einzige in der Galerie, der etwas von Kunst versteht! Denen werde ich es zeigen, denen und allen anderen! Ab sofort betreibe ich meine eigene Kunsthandlung, hier in diesen Räumen, niemand wird mir je wieder etwas vorschreiben. Ich bin frei, Johanna, unser langgehegter Traum, endlich geht er in Erfüllung!«
»So plötzlich, Theo, hast du dir das gründlich überlegt? Ich habe Angst!«
»Angst, wovor? Ich bin seit über zehn Jahren in diesem Geschäft, jeder kennt mich, ich habe einen guten Ruf. Auf diesen Moment haben wir hingelebt. Wir haben Grund zum Feiern!«
»Aber nach allem, was wir gerade durchgemacht haben?«
»Dies ist die beste Entscheidung meines Lebens! Du wirst stolz auf mich sein.«
Natürlich haben sie von der Selbständigkeit geträumt, haben immer wieder von der eigenen Galerie gesprochen. Aber gesundheitlich angeschlagen wie er ist, scheut Johanna jetzt ein weiteres Risiko. Sie versucht, mit Vernunft auf Theo einzuwirken, schließlich ist es ihnen trotz der vielen Besucher bisher nicht gelungen, auch nur ein einziges von Vincents Bildern zu verkaufen. Aber Theo weist sie grob ab.
»Zehn Jahre hat mein Bruder gekämpft, während ich die schlimmsten Erniedrigungen durch meine Vorgesetzten erdulden musste. Und nun lässt du mich im Stich!«
Am Tag darauf bricht Theo zusammen. Ihr Arzt verordnet Ruhe. Einige Zeit später kann er sich nicht mehr an den Vorfall erinnern. Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Er verlässt die Wohnung nicht mehr. An einen Neuanfang mit der eigenen Galerie ist nicht zu denken. Zeitweilig ist er geistig weggetreten, das Wasserlassen fällt ihm schwer. Wenn Johanna ihm gut zuredet, braust er wütend auf.
Ihr Bruder Andries rät ihr, Theo ins Krankenhaus einzuliefern.
»Allein wirst du mit ihm nicht mehr fertig, Johanna, das übersteigt deine Kräfte.«
»Nur ich kann ihm aus diesem Zustand heraushelfen.«
»Du musst dich um das Kind kümmern. Alles bleibt an dir hängen. Theo braucht dringend ärztliche Hilfe.«
»Wenn er einmal im Krankenhaus ist, werden sie ihn nicht mehr rauslassen.«
Aber es gelingt ihr nicht, ihren Bruder zu überzeugen. Hilflos sieht sie zu, wie Andries und Émile Bernard ihren Mann ins Krankenhaus bringen. Theo sträubt sich nicht, als nehme er nicht wahr, was mit ihm vorgeht.
Nach kurzem Krankenhausaufenthalt wird Theo in eine geschlossene Anstalt überwiesen. Johanna ist verzweifelt, sie bedrängt die Ärzte, dass ihr Mann nur zu Hause unter ihrer Obhut noch eine Chance habe, er brauche Ruhe, Ruhe sei die einzige Medizin in seinem Zustand, das liege doch auf der Hand. Für Ruhe sei es zu spät, geben ihr die Ärzte zu verstehen, sein geistiger und körperlicher Verfall sei zu weit fortgeschritten. Sie könnten ihr beim besten Willen keine Hoffnung machen.
Vor gerade sechs Monaten ist Vincent nach seiner
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