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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Bechtle
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in Auvers-sur-Oise. Doch erfährt sie wenig Neues über die Terroristen. Auf welcher Seite stehen die überhaupt?, fragt sie sich. Mit ihrem Ziel, der Unterdrückung im Iran ein Ende zu bereiten, stimmt sie vorbehaltlos überein. Allerdings kommt es auf die Mittel an. Fest steht, dass die Milizen dieser Exiliraner im Irak mit Saddam Hussein zusammengearbeitet haben, zuerst im Krieg gegen den Iran, dann bei den Giftmorden an den Schiiten im Süden und den Kurden im Norden des Iraks. Aber warum spielt man diese Dinge, die doch Jahre zurückliegen, gerade jetzt hoch?
    Die Hitzewelle, die seit Wochen über Frankreich liegt, ist das andere Pressethema. In Paris gibt es reihenweise Tote, meist ältere Menschen in ihren kleinen Dachgeschosswohnungen ohne Kühlung und Ventilation, die von ihren für den Sommer in den Süden verreisten Familien allein zurückgelassen wurden. Wenn die Franzosen wenigstens mehr Wasser trinken würden!
    Bei ihrer Ankunft auf Sylt bricht ein Gewitter über die Insel herein. Gerade noch die Hitze in Paris und nun hier dieses Unwetter. Von einem Extrem ins andere. Unternehmen lässt sich bei diesem Wetter nichts. Sie und Peter sitzen in der Hotelbar und trinken Bloody Marys. Peter ist größer als sie, schlank gewachsen, schwarzes Haar, sieht gut aus und wirkt sportlich, obwohl er eigentlich kaum Sport treibt.
    »Was hast du denn für Erinnerungen an ihn?«
    »Mein Onkel war kaum zwanzig Jahre älter als ich, ich glaubte immer, ich würde ihm nichts bedeuten. Er hat mir nie etwas geschenkt, auch zur Konfirmation und zum Abitur nicht. Allerdings einmal, als ich dreizehn Jahre alt war, rief er aus heiterem Himmel an einem Sonntagmorgen an. Er habe sich eine neue BMW-Maschine zugelegt, ob ich mit ihm mitfahren wollte, und dann kam er von Heidelberg hoch, um mit mir über die Autobahn in Richtung Köln zu rasen. Es war herrlich, der Wind und die Geschwindigkeit. Ich hatte mich an ihn geklammert und lachte während der ganzen Fahrt. Ich habe mich selten so frei gefühlt.«
    »Vielleicht hat er dabei auch diese Freiheit verspürt und sie dann in Paris gesucht, weil er sie hier nicht finden konnte.«
    »Meine Eltern waren entsetzt, die Raserei mit dem Motorrad. Aber in diesem Moment fand ich ihn toll. Als er mitten in seiner erfolgreichen Karriere alles hingeschmissen hat, einschließlich seiner Ehe, um seinen Traum als Schriftsteller zu verwirklichen, war ich auch beeindruckt. Beneidet habe ich ihn allerdings nicht. Dann wurde es still um ihn. Nach und nach habe ich ihn vergessen. Am Ende war es so, als sei er gestorben. Zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit.«
    »Nun wirst du ihn so schnell nicht wieder los.«
    »Das werde ich zu verhindern wissen. Ich habe ja kaum Zeit für mich.«
    »Wenn kein Testament oder sonstige Verfügung auftaucht, bist du unter Umständen die Erbin. Also mache dich gefasst darauf, dass da noch einiges zu tun sein wird. Aber dafür wirst du belohnt, er starb ja wohl nicht als armer Mann.«
    »Ich habe aus seiner Wohnung seine Tagebücher mitgenommen, die hoffentlich Aufschluss darüber geben, was in seinem Leben ablief und mit wem.«
    »Am Ende zwingt dich die Auseinandersetzung mit seinem Schicksal, auch einmal dein Leben zu überdenken. Eine Woche Sommerurlaub, das ist doch ein Witz, wenn du es dir überlegst!«
    »Der Herr Investmentbanker hat vor meiner Ankunft heute bestimmt den ganzen Vormittag über mit seiner Bank telefoniert. Also lass uns bei dir anfangen!«
    »Es geht nicht um mich, sondern um deinen Onkel. Und um dich. Aber wenn du nicht weiter darüber reden willst, schlage ich vor, dass wir aufs Zimmer gehen. Du schuldest mir noch unsere erste Urlaubsnacht.«
    Am nächsten Morgen weht ein sanfter Wind, es ist sonnig und wolkenfrei. Sie frühstücken auf der Terrasse. Sabine fühlt sich von allem Druck befreit. Sie trägt ein gelbes T-Shirt und weiße Shorts, zum Schutz gegen die Sonne hat sie eine gelbe Schirmkappe aufgesetzt, aus der ihr zum Pferdeschwanz gebundenes Haar nach hinten wippt. Peter hat Jeans an und ein blaues kurzärmeliges Hemd. Mit dem dunklen Ansatz seines Eintagebarts wirkt er sehr gelöst.
    »Lässig steht dir gut, Peter. Und dieses Wetter! Ich fühle mich, als wären wir seit Ewigkeiten hier. Es hat schon etwas für sich, dieses Nichtstun.«
    »Eine gute Nacht – und die Welt ist in Ordnung! Aber wir haben es verdient, oder nicht?«
    In der Zeitung liest sie, dass die Hitzewelle in Frankreich andauert. Weitere Todesfälle werden gemeldet.

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