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Hotel van Gogh

Hotel van Gogh

Titel: Hotel van Gogh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Bechtle
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Behandlung in der Anstalt in St. Rémy zu ihnen nach Paris gekommen, und nun hält man Theo in einer ähnlichen Anstalt eingesperrt. Vom Wahnsinn befallen, die van Goghs, der eine wie der andere, munkelt man bereits in der Kunstszene hinter vorgehaltener Hand.
    Die Ärzte verbieten Johanna, Theo zu besuchen, um jede Erregung zu vermeiden. Entmutigt sitzt sie in der viel zu großen neuen Wohnung, umgeben von Vincents Bildern. Aber mit einem Mal spürt sie, wie die Helligkeit und Kraft der Farben in ihre düstere Stimmung vordringen. Nun erkennt sie auch, dass dies keine unnatürlichen Farben sind, wie die Besucher gelegentlich geäußert hatten, Farben des Wahnsinns, sondern Farben des Lichts, durch die die wahrnehmbare Wirklichkeit auf eine gefühlsmäßig höhere Stufe angehoben wird.
    Es fällt ihr schwer, sich vorzustellen, dass diese überschwenglichen Farben Vincents dunklem, grüblerischem Geist entsprungen sind, bis sie die Einsamkeit bemerkt, die von den Farben überdeckt wird. Vielleicht weil sie plötzlich derselben Einsamkeit ausgesetzt ist.
    Seltsam, dass Theo nie diese Empfindung angesprochen hat, für ihn zählte allein die Gegenwärtigkeit der Aussage. Was würde sie geben, dies mit ihm zu besprechen! Umso schmerzlicher fühlt sie seine Abwesenheit. Diese Ungerechtigkeit, warum war ihnen nur eine solch kurze Zeit für ein gemeinsames Leben vergönnt?
    Dabei hatte sich Vincents unheilvoller Schatten von Anfang an zwischen sie und Theo gedrängt. Als sie ihre Verlobung bekannt gaben, verstümmelte sich Vincent in Arles, offensichtlich im Streit mit Gauguin, aber ging es dabei nicht in Wirklichkeit um seine Angst, Theo zu verlieren? Später, als Theo ihm die Geburt ihres Sohnes mitteilte, der sein Patensohn werden sollte, verfiel Vincent, der damals in der Anstalt in St. Rémy eingeschlossen war, in ein quälend langes Schweigen, als wollte er Theo nicht erneut mit jemand anderem teilen. Und war es Zufall, dass sein Selbstmord erfolgte, als sich Theo ernsthaft damit beschäftigte, nach zehn Jahren die Galerie zu verlassen, um sich selbständig zu machen? Auf jede ihrer Lebensentscheidungen reagierte Vincent mit der ihm eigenen Dramatik.
    Vincent war nie bereit, Theo mit ihr zu teilen. Theo war die Kehrseite seiner selbst, daher musste er ihn allein besitzen. Aber nun, als man ihr Theo entreißt, spricht ihr Vincent aus seinen Bildern neuen Lebensmut zu.
    Sie ist entsetzt bei der Vorstellung, dass so ihr Schicksal aussehen soll. Nein, Theo gehört mir, er wird gesund werden, wieder nach Hause kommen, seine Galerie eröffnen, und dann Vincents Werk in aller Welt berühmt machen!
    Später entdeckt sie in Theos Nachttisch einen Brief von Vincent, ohne Datum, aber mit Theos handschriftlichem Zusatz: Diesen Brief trug Vincent am 29. Juli bei sich. Der Tag, an dem er sich in Auvers erschossen hat. Johanna hatte den Brief nie gelesen, nach seinem Tod wollte sie Vincents verzweifelte Hilfeschreie nicht mehr hören. Jedoch der Brief klingt nicht verzweifelt, eher sprunghaft und leidenschaftlich, aber daran ist nichts ungewöhnlich, Vincents Briefe waren oft weitschweifig und belehrend. Beim Lesen der letzten Sätze hält sie den Atem an:
    Nun, meine Arbeit gehört dir. Ich setze dafür mein Leben ein, und meine Vernunft ist dabei zur Hälfte draufgegangen.
    Es war von Anfang an ihr gemeinsames Projekt. Sie sind zusammen gegen das Unmögliche angestürmt, und in seiner letzten bewussten Handlung vermacht Vincent Theo sein gesamtes Werk. Aber der Wahnsinn ist stärker und unbarmherziger als alle Besessenheit der Brüder. Und damit ist ihr aufreibender Kampf umsonst gewesen.

7.
    Paris erwacht träge nach einer drückend schwülen Sommernacht. Als Sabine am nächsten Morgen mit dem Taxi zum Flughafen fährt, herrscht auf den Straßen noch wenig Verkehr. Sie war bereits im Begriff, die Wohnung zu verlassen, als sie in einem spontanen Entschluss schnell noch seine Tagebücher aus dem Regal holte und einpackte. Sie wunderte sich, dass die Tür zur Kammer am Ende des Gangs geschlossen war, die ihrer Erinnerung nach gestern Abend offen stand, aber sie konnte sich auch irren. Der Putzfrau, die es auf alle Fälle geben musste, wenn er in einer solch großen Wohnung allein lebte, hinterließ sie eine Nachricht, sie möge dringend bei ihr anrufen, es betreffe Arthur Heller. Ihr Onkel hat wahrscheinlich nie von seiner Nichte in Deutschland gesprochen.
    Die Tageszeitungen berichten in Großaufmachung über die Anti-Terror-Aktion

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