Hotel van Gogh
Sie findet nichts über die Terroristen.
»Es war wirklich unerträglich in Paris. Auch nachts kühlte es nicht ab. Hier an der Nordsee kann man sich das gar nicht vorstellen.«
»Meinst du nicht, dass du seinen Verleger benachrichtigen solltest?«
»Das kann bis nächste Woche warten. Jetzt lässt sich doch nichts mehr ändern.«
»Er schien es ziemlich eilig zu haben mit der Buchmesse.«
»Ohne den Autor?«
»Na ja, das ist deine Sache. Ich würde ihn jedenfalls anrufen.«
Sabine spürt, dass ihr die Sache, wenn sie sie nicht gleich erledigt, für den Rest des Urlaubs keine Ruhe lassen wird. Sie wirft Peter einen mürrischen Blick zu. Musste er unbedingt dieses Schuldgefühl in ihr wecken?
Die Dame in der Telefonzentrale des Verlags, der Sabine erklärt, dass sie wegen des Manuskripts ihres Onkels anrufe, wimmelt sie ab.
»Wir erteilen grundsätzlich keine mündliche Auskunft über unverlangt eingesandte Manuskripte. Ihr Onkel muss sich gedulden wie jeder andere.«
»Dr. Zapf hat Herrn Heller brieflich ein Angebot unterbreitet.«
»Ach so, dann warten Sie mal.«
Man lässt sie weitere Minuten warten, dann meldet sich die Sekretärin von Herrn Zapf.
»Sie sind die Nichte von Herrn Heller? Warum ruft er nicht selbst an, wir haben ihm doch gesagt, dass es eilt! Es kommt auf jeden Tag an.«
»Er ist tot.«
Es bereitet ihr direkt eine innere Befriedigung, dies der Sekretärin so unverblümt vorzusetzen.
»Oh! Entschuldigen Sie, ich werde Sie sofort mit Dr. Zapf verbinden. Wie war nochmals Ihr Name?«
Wieder verstreichen einige Minuten.
»Mein aufrichtiges Beileid, Frau Bucher. Das ist ja eine furchtbare Nachricht. Was soll denn jetzt mit dem Manuskript geschehen?«
»Das muss ich Ihnen überlassen.«
»Ein Debütant in den Fünfzigern, das fand ich gerade reizvoll, als Kehrseite zu der Welle der zwanzigjährigen Jungautoren, die alle über ihr jugendliches Selbsterwachen schreiben und ihre Befindlichkeiten. Ein Mann wie Fontane, der erst in den späteren Jahren zu schreiben beginnt! Ich war überzeugt, dass sich da was hätte draus machen lassen. Aber ein toter Erstlingsautor. Die ganzen Anstrengungen, einen unbekannten Autor und sein erstes Buch zu platzieren, haben nur dann einen Sinn, wenn es danach weitergeht. Wie viele Manuskripte hat er denn hinterlassen?«
»Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Jedenfalls hat er seit zehn Jahren als Schriftsteller gearbeitet.«
»Zehn Jahre! Da dürfte man schon einiges erwarten. Woran ist er denn so unerwartet gestorben?«
»Er hat sich erschossen.«
»Selbstmord! Also, ich glaube, da müssen wir unsere Pläne ändern, es ist sowieso jetzt zu knapp für das Herbstprogramm. Das tut mir aufrichtig leid. Ihr Onkel war mir auch als Mensch sympathisch. Wir hatten uns vor einigen Monaten getroffen. Ich habe mir viel Zeit mit dem Manuskript genommen, und er hat danach meine Anregungen wirklich vorzüglich aufgegriffen. Aber unter diesen Umständen, ich weiß nicht …«
»Ich verstehe, ich wollte es Ihnen nur gleich mitteilen, weil Sie sicherlich auf eine Antwort von ihm gewartet haben.«
»Vielen Dank, Frau Bucher. Wie kam es übrigens dazu, hat er unter Depressionen gelitten? Und wo ist es geschehen, in Paris? Eine Kurzschlussreaktion bei der Jahrhunderthitze dort? Man hört ja, dass es in Paris momentan unmenschlich sein soll.«
»Nicht in Paris, sondern in Auvers-sur-Oise, im Sterbezimmer von Vincent van Gogh.«
»Er hat sich im Sterbezimmer van Goghs erschossen? Tatsächlich? Hat er diesen Schritt in einem Abschiedsbrief begründet?«
»Bisher ist nichts aufgetaucht. Er wurde in dem Zimmer tot aufgefunden, anscheinend hat er sich den Schuss außerhalb des Hauses zugefügt.«
»Also lassen Sie uns das noch einmal intern durchsprechen. Wo kann ich Sie erreichen, sind Sie in Paris oder noch am Ort der Tat?«
»Ich bin auf Sylt.«
»Zum Urlaub auf Sylt, unter diesen Umständen? Haben Sie übrigens eine Vollmacht? Mit irgendjemanden müssen wir verhandeln. Wann hat sich der Vorfall denn ereignet?«
»Vor zwei Tagen. Man hat mich als seine nächste Verwandte angerufen, und ich habe ihren Brief dann in seiner Pariser Wohnung gefunden.«
»Sie werden wieder von mir hören, Frau Bucher.«
Das wäre erledigt, denkt sie. Und doch bleibt ein bitterer Geschmack zurück, zehn Jahre die Höhen und Tiefen des Künstlers, und kurz bevor er es geschafft hat, dreht er durch.
»Von dem werden wir nichts mehr hören. Hast du noch weitere Vorschläge, oder darf ich
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