Hotel van Gogh
dem Monetverkauf zu Vincents künftigen Erfolgen. Mit Genugtuung stellt er sich seine Vorgesetzten vor, die sich vehement gegen die Verpflichtung von Monet gesträubt hatten. Nun verkauft sich Monet wie von selbst, ein Traum, und mit Vincent wird es am Ende genauso sein.
Man muss nur Geduld haben. Und Zeit. Aber Theo spürt, wie ihm die Zeit verrinnt. Mit dem nächsten Hustenanfall schwindet das trügerische Hochgefühl. Sein Kopf schmerzt, die Nerven, die ihn schon als Kind geplagt haben, schnüren ihn ein. Wo sind die Freunde, wenn man sie einmal wirklich braucht? Paris ist wie leergefegt, seine Maler, Bernard, Guillimin, Toulouse-Lautrec und Pissaro, alle sind vor der Augusthitze aufs Land geflüchtet, selbst der alte Père Tanguy, in dessen Laden sich Vincents Leinwände türmen, hat die Stadt verlassen.
Am späten Nachmittag schleppt sich Theo von der Galerie am Boulevard Montmartre zu seiner Wohnung in der nahen Rue Pigalle. Er hält mehrfach erschöpft an. In den Rinnsteinen verkommt der Abfall, vom Verwesungsgeruch wird ihm übel. Kraftlos lehnt er gegen eine Hauswand. Ein Trauerbild, der Händler der Impressionisten, auf den sie all ihre Hoffnung setzen, denkt er entsetzt.
Er sitzt lange wie benommen im Wohnzimmer. Nur ganz allmählich löst sich seine innere Spannung. Wo er hinblickt, die Bilder seines Bruders: lebensbejahende, über jeden Zweifel erhabene Farben, die mutig jedem Dunkel trotzen. Theo fällt das amerikanische Paar ein. Wenn sie für die Natürlichkeit Monets offen sind, dann werden sie erst recht die Überwirklichkeit der Farben von Vincents Weizenfeldern und Landschaften verstehen!
Seine Gedanken sind mit einem Mal wieder scharf und verlässlich. Vincents Zeit ist gekommen, jetzt muss man dem Betrachter mit einer Gesamtdarstellung diese einzigartig prächtige Farbenwelt öffnen. Wenn ihm seine Vorgesetzten dies nicht in ihrer Galerie erlauben, muss er eben einen anderen Weg finden. Er unterhält beste Beziehungen zu Durand-Ruel, dem angesehenen Galeristen, dessen Räumlichkeiten sich sogar noch besser für Vincents Bilder eignen würden. Eine Ausstellung dort – und ganz Paris würde aufhorchen!
Jedoch hat Durand-Ruel wie alle für die Sommermonate Paris verlassen. Es gibt auch für Theo nichts zu tun. Einige Tage später reist er zu seiner Familie nach Leyden. Die Pläne der Ausstellung spornen ihn an. Er nimmt die sorgenvollen Blicke um sich nicht wahr, während sich sein gesundheitlicher Zustand von Tag zu Tag verschlechtert. Er ist wie besessen, dieselbe Besessenheit, die Vincent angetrieben hat und die ihm den Blick für alles andere verstellt hat.
Die gewohnte Hektik in Paris nach der Sommerpause scheint Theo besser zu bekommen als die Ruhe Hollands. Er nimmt sofort Kontakt mit Durand-Ruel auf. Künstlerfreunde besuchen ihn und Johanna, um sich bei ihnen Vincents Bilder anzusehen. Pissaro schlägt ein Tauschgeschäft vor. Als breche die Saat endlich auf. Auch Dr. Gachet sagt sich zu einem Besuch in der Wohnung an.
»Nach seinem aufreibenden Kampf gegen die Akademien und gegen sich selbst hätte Ihr Bruder die Anerkennung verdient.«
»Ich habe Aurier beauftragt, einen Beitrag für den Ausstellungskatalog zu schreiben.«
»Hat Durand-Ruel denn schon zugestimmt?«
»Er muss zustimmen.«
Als Dr. Gachet für einen Moment mit Johanna allein ist, flüstert er mit gedämpfter Stimme: »Ihr Mann macht mir Sorgen. Wenn ich Ihnen helfen kann, bitte, jederzeit!«
Erst versagt er bei ihrem Schwager, und nun soll sie ihm ihren Mann anvertrauen? Sie wird auf alle Fälle dem Rat der holländischen Ärzte folgen, denkt Johanna bei sich. Seit ihrer Rückkehr nach Paris hat sich Theos Zustand tatsächlich verbessert. Tags darauf kündigt Durand-Ruel seinen Besuch an. Theo triumphiert.
Durand-Ruel erscheint vornehm gekleidet in einem leichten, hellen Sommeranzug, wie es sich für einen der führenden Pariser Galeristen gebührt. Zigarre rauchend betrachtet er schweigend die Bilder. Theo erläutert ihm ungefragt Vincents Absichten beim Malen einzelner Bilder, bis er wegen einem vom Zigarrenrauch erregten Hustenanfall ins Nebenzimmer flüchtet. Als er zurückkommt, blickt Durand-Ruel auf die Uhr. Theo spürt, dass das nichts Gutes bedeutet.
»Einige seiner wichtigsten Werke sind bei Père Tanguy gelagert, besonders alles, was er in Auvers-sur-Oise gemalt hat. Tanguys Laden liegt ganz in der Nähe.«
»Das müssen wir auf ein andermal verschieben.«
»Was haben Sie denn für einen
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