Hotel van Gogh
Lektorin die nächste Fassung. Danach treffen wir uns zu einer weiteren Besprechung in Berlin.
»Das hast du wirklich gut gemacht«, sagt sie.
»Und wie geht es nun weiter?«
»Ich kenne einen Agenten in Berlin, der sich auf neue Autoren spezialisiert hat, bei dem kann ich dich einführen.«
Die Lektorin war ein Glücksfall. Und nun ihr Agent. Eins fügt sich ans andere.
Ich verabrede mich sofort mit ihm zum Mittagessen. Übergewichtig, Halbglatze, ein runder Kopf, er hat einen Schnupfen, schlabbert die Worte beim Sprechen. Ich reagiere zurückhaltend.
Ich lasse mir von ihm die Rolle des Agenten beschreiben. Was er sagt, finde ich kleinlich, all die Details, die er betont.
»Was war denn Ihr bisher größter Erfolg?«, frage ich.
»Ein Buch über die Fußballweltmeisterelf. Ein Verlag hat mich beauftragt, den passenden Journalisten für das Projekt zu finden, und da hatte ich gerade einen an der Hand. Daraus wurde eine Auflage von über vierhunderttausend.«
»Ein Sachbuch, ich dachte, Sie seien auf Literatur spezialisiert?«
»Ja schon, aber Sie fragten doch nach der größten Auflage. Mit Literatur lässt sich keine Auflage machen.«
Die bescheidene Rechnung für das Essen will er zwischen uns teilen. Nach unserer Verabschiedung verengt er das rechte Hosenbein mit einer Wäscheklammer und fährt auf seinem alten Fahrrad in Richtung Kurfürstendamm davon.
Einen zweiten Reinfall mit einem Agenten kann ich mir keinesfalls erlauben.
Lauren aus New York hatte mir damals noch eine auf deutsche Autoren spezialisierte Agentin genannt, die in Berlin lebt. Ich rufe einfach in ihrer Agentur an, auch im Gefühl des Unternehmers, des Machers, nicht des verunsicherten Künstlers. Man stellt mich gleich an sie durch, wahrscheinlich der Verweis auf Lauren, aber sie zeigt nicht das geringste Interesse, den Autor kennenzulernen, als erkläre sich das Buch nicht auch aus der Person des Schriftstellers.
»Senden Sie mir Ihr Manuskript, dann sehen wir weiter. Von Lauren halte ich viel.«
Zurück in Paris arbeite ich die neuesten Verbesserungsvorschläge in den Entwurf ein. Ich mache eine Woche Pause, dann gehe ich das Buch in einem Zug durch. Put your best foot forward . Ich habe diesen Punkt erreicht.
Die Agentin verlangt dreimonatige Exklusivität und die Zusage, dass das Manuskript noch keiner anderen Agentur vorgelegt wurde. Ich bestätige beides, es handelt sich schließlich um ein völlig umgearbeitetes Buch. Dennoch, ein ungutes Gefühl bleibt zurück, aber wer hat das ursprüngliche Manuskript wirklich gelesen? Die meisten schauen sich doch nur flüchtig die ersten Zeilen an, niemand erinnert sich später, außer vielleicht an den Titel, den ich wohl oder übel ändern muss. Den neuen Titel Im Schatten von New York finde ich zwar auch gut, aber kein Vergleich zu Central Park South . Am nächsten Tag sende ich das Manuskript an die Agentur. Man warnt mich gleich, dass die Betreuung der bestehenden Autoren natürlich Vorrang habe.
Was heißt das, eine Woche, einen Monat?
Zum Glück lassen Die Burgkinder mein negatives Sinnieren gar nicht erst aufkommen. Ich vergrabe mich in die Arbeit am zweiten Teil, der 1970 in Berkeley spielt. Ich kenne die Westküste der USA nicht, die Materialsammlung vor Ort in San Francisco bietet den idealen Grund für einen Besuch bei Jean. Erst spiele ich mit dem Gedanken, einfach den nächsten Flug zu nehmen, Verbindungen von Paris nach San Francisco gibt es täglich, und Jean ohne jede Vorankündigung zu überraschen, so wie sie mich mit ihrer Abreise überrascht hat. Und wenn es in ihrem dortigen Leben keinen Platz für mich gibt?
Aber Jean stimmt erfreut meinen Plänen zu. Als ich sie in den Armen halte, spüre ich, wie sehr sie mir gefehlt hat. Sie wohnt in einem Penthouse-Apartment mit großartigem Ausblick auf die Bay, die Golden Gate Bridge und die Gefängnisinsel Alcatraz. Am Morgen schlängelt sich ein Nebelstreif zwischen den beiden orangefarbenen Türmen der Brücke und zieht sich bis in die Berge hinter Berkeley. Der Himmel ist von einem unwirklich tiefen Blau. Jeder Tag beginnt mit einem neuen Schauspiel.
Am nächsten Morgen fahren wir über die Bay Bridge nach Berkeley. In den Buchläden der Telegraph Avenue, im People’s Park, dem Symbol der Studentenunruhen, und auf dem weitverzweigten Universitätsgelände versuche ich, Spuren der Revolutionsstimmung der siebziger Jahre zu finden. Mit seinen verträumten Einfamilienhäusern macht Berkeley auf mich allerdings eher
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