Hotel van Gogh
des Dichters. Verwurzelte Traditionen gegenüber dem neuen Unternehmergeist Amerikas. Enge gegen Weite. Zweifel gegen Mut. Ich fühle mich dabei Jeans Familie näher verbunden als der Familie am Rhein.
Ich sende meiner Lektorin den fertigen Entwurf. Ein zweites Manuskript nach fünf Jahren in Paris. Ein Portfolio. Welcher Erstlingsautor liefert einem Verleger gleich die Antwort auf die Frage mit, was man in Zukunft noch von dem alternden Schriftsteller erwarten könne?
Sie warnt mich gleich, dass die Überarbeitung der Burgkinder einige Monate dauern wird. Der unablässige Druck des Schreibens und plötzlich die Leere in mir. Die Zeit verrinnt mir unter den Fingern.
Ich teile Lauren in New York meine Fortschritte mit. Mittlerweile zwei abgeschlossene Manuskripte, also eindeutig keine Eintagsfliege. Sie reicht mir noch einmal die Hand und führt mich bei einem Verleger in München ein.
Wieder muss ich elend lange warten. Als mache es keinen Unterschied, ob man ein Manuskript auf Empfehlung oder unaufgefordert bei einem Verlag einreicht. Schließlich, als mir die Warterei zu bunt wird, schreibe ich dem Verleger, dass ich in Kürze in München sei und jederzeit für eine Besprechung zur Verfügung stünde. Niemals in meinem beruflichen Leben habe ich mich derart unterwürfig gegeben. Postwendend ein kurzes Schreiben: Leider sehen wir keine Möglichkeit, die Arbeit im Rahmen unseres Programms zu veröffentlichen. Wir bitten um Verständnis, dies nicht weiter zu begründen: Bei der Vielzahl von Angeboten, die wir täglich erhalten, ist uns dies schon aus Zeitgründen nicht möglich. Auch hier: Niemand hat mein Buch gelesen, die Absage kam, nur um zu verhindern, dass ich dort unversehens auftauche.
Der Stolz über zwei fertige Manuskripte ist augenblicklich verflogen. In der Zwischenzeit wäre ich auch bereit, das Drogenmädchen zu opfern. Ihr Leben war eine einzige Tragödie, warum sollte ihrem Roman ein besseres Schicksal vergönnt sein? Bei Sarah habe ich es dagegen nicht in der Hand, sie aufzugeben. Ihr Buch muss sein.
Ich beginne noch einmal von vorn. Ich weiß auch, dass ich Sarah erst beim Schreiben kennenlernen werde, gleichgültig wie intensiv die Vorarbeit ist. Genauso lief es bei dem Drogenmädchen. An einem bestimmten Punkt angekommen, nehmen die Figuren des Romans ihr eigenes Leben in die Hand.
Ich vermisse Jean. In bestimmter Weise hat Jean mich Sarah näher gebracht. Und jetzt, wo Sarah selbst die Bühne betritt, geht Jeans Rolle zu Ende.
Trotzdem, ich sehne mich wahnsinnig nach ihr.
Sarahs Paris spielt vor dem Sechstagekrieg und vor den spektakulärsten Mossad-Aktionen. Der Zeitpunkt ist durch das Ende des Auschwitzprozesses in Frankfurt vorgegeben, und mir kommt es auf das Bewusstsein des jungen Deutschen an. Obwohl es mir gewaltig gegen den Strich geht, muss ich dieses aufregende Mossad-Material ungenutzt lassen.
Auf einer Cocktailparty treffe ich eine Pariser Anwältin, die mir von ihrer kürzlich erfolgten Scheidung erzählt. Beim Ausräumen des Hauses habe ihr Ex-Mann eine Schachtel mit Briefen gefunden, in dem sie ihren Briefwechsel als Schülerin mit einem jungen Amerikaner aufgehoben hatte. Sie schrieb auf Französisch und er antwortete auf Englisch. In dem Brief, den sie herausfischte, warf sie dem amerikanischen Jungen vor, dass dieses große Amerika über ein kleines Land wie Vietnam herfalle und dadurch die ganze Welt an den Rand des Abgrunds stoße. Ob die Amerikaner nicht die Geschichte studiert und nichts aus dem Versagen der Franzosen in Vietnam und der tragischen Niederlage bei Dien Bien Phu gelernt hätten?
Sie habe den Amerikaner nie getroffen, sagt sie, aber jetzt, nach dreißig Jahren und nach der Scheidung, würde es sie reizen, herauszufinden, was aus ihm geworden sei. Was ich als Schriftsteller dazu meine?
Beim Jogging am nächsten Morgen denke ich über sie nach und ob sie dieser Geschichte wirklich nachgehen wird oder ob das auch wieder nur so eine leere Partyunterhaltung war.
Ich stelle sie mir als deutsche Schülerin in den frühen sechziger Jahren vor, die aus Protest gegen die Generation ihrer Eltern einen Briefaustausch mit einem jungen Israeli in Tel Aviv beginnt. Sie beneidet den Israeli um seine Ideale. Für sie stehen Lernen und Gehorsam im Vordergrund, vor allem aber, die schwere Nachkriegszeit zu überwinden. Dabei geht es den Deutschen zu dieser Zeit bereits recht gut. Aber trotz Wohlstand und Wirtschaftswunder fühlt sie sich innerlich unbefriedigt.
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