Hotel van Gogh
einen spießigen als weltverändernd revolutionären Eindruck.
»Vor dreißig Jahren sah es nicht viel anders aus«, sagt Jean.
Ich wandle auf den Spuren des Sohns der Burgkinder, den es an die Westküste verschlägt und der sich dort in eine Studentin verliebt, die aktiv bei den Studentenunruhen mitwirkt. Eine unwahrscheinliche Liebe, die ein tragisches Ende findet. Jean gefällt dieses Ende nicht.
»Buch ist Buch, das hat doch mit uns nichts zu tun!«
Sie blickt mich zweifelnd an. Wir wandern in die Berge hinter dem Universitätsgelände und lieben uns nackt in den sonnigen, vom Wind warm gestreichelten Wiesen. Plötzlich finde ich mich nicht mehr zurecht, lebe ich jetzt mein heutiges Leben oder das des Studenten von damals?
So jung wie hier in Kalifornien habe ich mich seit Ewigkeiten nicht gefühlt. Vielleicht noch nie. Und so frei.
Ich kann mir ein Leben ohne Jean nicht mehr vorstellen. Doch fällt es mir schwer, mich in ihrer Wohnung aufs Schreiben zu konzentrieren. Jeder Blick ist nach außen gerichtet, auf den verführerischen Himmel, die weißblaue, windige Bucht und die aufregende Stadt. Wie soll ich da die innere Ruhe finden, die ich zum Arbeiten brauche?
Ich muss nach Paris, um dort über Kalifornien zu schreiben. Außerdem erwarte ich dort die Antwort der Agentur. Ohne den Erfolg als Schriftsteller gibt es keine Zukunft mit Jean, so gut kenne ich sie mittlerweile.
Bei der Ankunft am Flughafen Charles de Gaulle regnet es. Das trüb melancholische Paris nach dem durch nichts zu brechenden Optimismus Kaliforniens. Auf dem unruhigen Flug habe ich kaum geschlafen. Alles in mir sehnt sich nach Jean. Als ob Schreiben wichtiger wäre als sie. Was muss ich überhaupt noch beweisen, als reichten meine unternehmerischen Erfolge nicht aus!
In meiner Wohnung ist seit Tagen nicht gelüftet worden. Der Blick auf den Stapel Post versetzt mich ruckartig in die Gegenwart. Ich finde auch gleich das Schreiben der Agentur. Das Urteil über meine Zukunft, gegen das es keine Berufung gibt. Der Daumen nach oben oder nach unten. Der Daumen nach oben bedeutet auch ein Ja zu einem Leben mit Jean. Ich halte den Umschlag unschlüssig in den Händen. Wäre ich doch in Kalifornien geblieben, dem Land der Träume!
Endlich reiße ich den Umschlag auf, überfliege den Text, von einer Assistentin geschrieben.
Wir sehen bedauerlicherweise keine Möglichkeit, den Text an die Publikumsverlage, mit denen wir zusammenarbeiten, zu vermitteln.
Ich spüre, wie mir das Blut durch das Gehirn schießt. Gleichzeitig befällt mich eine lähmende Müdigkeit. Ob man anders entschieden hätte, wenn es sich um das Manuskript eines Zwanzigjährigen gehandelt hätte? Die Befindlichkeiten des Jungautors, als hätte man als älterer Autor nicht ebenso wesentliche Befindlichkeiten?
Ich zwinge mich mit aller Gewalt zu den Burgkindern , um eine neuerliche Niedergeschlagenheit im Keim zu ersticken. In San Francisco habe ich ein ziemlich klares Bild über den weiteren Verlauf des Geschehens gewonnen. Aber lohnt es sich überhaupt, nur um am Ende gegen die immer gleichen Vorurteile anzurennen?
Als ob ich eine Wahl hätte! Solange ich nicht die Liebesgeschichte von Sarah, der jungen Jüdin, geschrieben habe, darf ich nicht aufgeben. Gleichgültig, welche neuen Hindernisse. Von Anfang an ging es um ihre Geschichte.
Meine Lektorin empfiehlt mir eine andere Agentur, bei der man sie kennt. Der kleinste Hoffnungsschimmer, und meine Zuversicht kehrt zurück. Wie ein Stehaufmännchen. Als habe Jeans Optimismus auf mich abgefärbt.
Es dauert einige Wochen, bis ich von dort die Antwort erhalte. Das Buch habe beim Lesen auch viel Freude bereitet, schreibt man mir, aber die Agentur habe bereits vier Autoren mit einer ähnlichen Zielrichtung unter Vertrag, und dafür seien die Möglichkeiten im deutschen Verlagsmarkt einfach zu begrenzt.
Vier Autoren mit dem Schicksal des Drogenmädchens?
Wenn die Agenturen sich querstellen, warum dann nicht gleich die Verlage direkt anschreiben? Trotz aller Warnungen auf ihren Websites muss es doch Fälle geben, bei denen ein Autor auf diesem Weg zu einem Verlag gefunden hat. Natürlich, so viel ist mir inzwischen klar, die Chancen sind wie beim Glücksspiel verteilt, und ich bin nie ein Spieler gewesen. Dennoch will ich es auf einen Test ankommen lassen. Ich entscheide mich für zwei anerkannte Literaturverlage und sende die Manuskripte per Eilzustellung, damit sie beim Eingang eher auffallen.
Von einem der Verlage erhalte
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