Hotel
verweilten. Obwohl das Hotel voll besetzt war, hatte sich der Hauptspeisesaal nur eines mäßigen Zustroms erfreut.
Max, der Oberkellner, trat diskret an ihren Tisch.
»Haben die Herrschaften noch Wünsche?«
Albert Wells sah Christine fragend an. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht. Wenn Sie wollen, können Sie die Rechnung bringen.«
»Sehr wohl, Sir.« Max nickte Christine zu und bedeutete ihr mit einem Blick, daß er ihre Abmachung von heute morgen nicht vergessen hatte.
Als der Oberkellner verschwunden war, sagte der kleine Mann: »Um auf den Kaffee zurückzukommen … beim Goldschürfen im Norden verschwendet man nichts, wenn man am Leben bleiben will, nicht mal die Wärme von einer Tasse Kaffee, die man in Händen hält. Mit der Zeit wird einem das zur Gewohnheit. Ich könnte sie ablegen, schätz’ ich, aber ich finde, es ist klüger, manche Dinge nicht zu vergessen.«
»Weil es gute Zeiten waren, oder weil das Leben jetzt besser ist?«
Er überlegte. »Ein bißchen von beidem, glaube ich.«
»Sie haben mir erzählt, daß Sie Bergmann waren«, sagte Christine. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie auch als Prospektor arbeiteten.«
»Wenn man das eine ist, ist man meistens auch das andere. Vor allem auf dem Kanadischen Schild – der liegt im Nordwesten des Landes, Christine, um die Hudson Bay herum. Wenn man da allein ist inmitten der Tundra – die arktische Wüste nennen sie sie –, da macht man alles, vom Claimabstecken angefangen bis zum Aufbrennen des Frostbodens. Es ist niemand da, der einem hilft, die meiste Zeit wenigstens, und so ist man auf sich selbst angewiesen.«
»Nach was haben Sie geschürft?«
»Uran, Kobalt. Vor allem Gold.«
»Haben Sie welches gefunden? Gold, meine ich?«
Er nickte. »Viele haben welches gefunden. Im Gebiet von Yellowknife, am Großen Sklavensee. Die Funde begannen in den neunziger Jahren und setzten sich fort bis zum Goldrausch im Jahre neunzehnhundertfünfundvierzig. Aber der größte Teil des Landes war zu unwirtlich zum Abbau.«
Christine sagte: »Es muß ein hartes Leben gewesen sein.« Der kleine Mann hustete, trank einen Schluck Wasser und lächelte abbittend. »Damals war ich zäher. Aber wenn man dem Schild auch nur eine halbe Chance gibt, bringt er einen um.« Er sah sich in dem behaglichen, von Kristallüstern erhellten Speisesaal um. »Es kommt einem sehr weit weg von hier vor.«
»Sie sagten, daß es meistens zu schwierig war, dort Gold zu schürfen. Aber manchmal klappte es doch?«
»O ja. Es gab welche, die hatten mehr Glück als andere, obwohl auch bei ihnen was schiefgehen konnte. Es lag wohl daran, daß der Schild und das Ödland sie irgendwie durcheinanderbrachte. Manche, die man für stark hielt – und nicht nur körperlich –, entpuppten sich als Schwächlinge. Und bei manchen, denen man sein Leben anvertraut hätte, entdeckte man, daß man sich nicht auf sie verlassen konnte. Und umgekehrt. Ich erinnere mich, einmal …« Er verstummte, als der Oberkellner auf einem silbernen Tablett die Rechnung brachte.
»Weiter!« drängte sie.
»Das ist eine lange Geschichte, Christine.« Er drehte die Rechnung um und prüfte sie.
»Aber ich würde sie gern hören«, versicherte Christine, und es war ihr Ernst damit.
Er blickte auf, und in seinen Augen lag ein Schimmer der Belustigung. Er sah quer durch den Raum zu dem Oberkellner hinüber, dann auf Christine, zog unvermittelt einen Bleistift hervor und unterschrieb die Rechnung.
»Es war im Jahr sechsunddreißig«, begann er, »um die Zeit, als einer der letzten Booms bei Yellowknife anfing. Ich schürfte in der Nähe vom Großen Sklavensee. Hatte damals einen Partner namens Hymie Eckstein. Hymie stammte aus Ohio. Er hatte als Textilvertreter, Verkäufer von Gebrauchtwagen und in einem Haufen anderer Berufe gearbeitet. Er war ein Draufgänger und redete wie ein Buch. Aber er brachte es irgendwie fertig, daß die Leute ihn gern hatten. Ich schätze, man könnte es Charme nennen. Als er nach Yellowknife kam, hatte er etwas Geld. Ich war pleite. Hymie bezahlte Ausrüstung und Verpflegung für uns beide.«
Albert Wells trank versonnen einen Schluck Wasser.
»Hymie hatte noch nie einen Schneeschuh gesehen, noch nie von Frostboden gehört, konnte Schiefer nicht von Quarz unterscheiden. Aber wir kamen von Anfang an gut miteinander aus. Und wir hatten Glück.
Wir waren einen Monat oder zwei draußen. Auf dem Schild verliert man jeden Zeitbegriff. Dann setzten wir zwei uns eines
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