Hotel
Abfahrt mehrerer Züge abgewartet hatte – als aufgelegte Pleite entpuppt. Da ihm das schon öfter passiert war, beschloß Keycase, von der Erfahrung zu profitieren. Bahnreisende waren offensichtlich konservativer als Flugreisende und gingen achtsamer mit Hotelschlüsseln um. In Zukunft würde er Bahnhöfe von seinem Programm streichen.
Er sah auf die Uhr. Es bestand kein Grund, den Aufbruch noch länger hinauszuzögern, aber es war ihm merkwürdig zuwider, sich von dem Bett, auf dem er saß, zu rühren. Er gab sich einen Ruck und traf die letzten Vorbereitungen.
Im Bad wartete bereits ein halbes Glas Scotch auf ihn. Er gurgelte mit dem Whisky, ohne auch nur einen Tropfen hinunterzuschlucken, und spuckte ihn dann ins Waschbecken.
Dann griff er nach einer zusammengefalteten Zeitung – der Frühausgabe der heutigen »Times-Picayune«, die er gestern nacht gekauft hatte – und steckte sie sich unter den Arm.
Zum Schluß klopfte er seine Taschen ab, auf die er die Kollektion von Schlüsseln systematisch verteilt hatte, und verließ das Zimmer.
Auf Kreppsohlen schlich er geräuschlos die Personaltreppe hinunter. Rasch, aber nicht hastig, strebte er der zwei Stockwerke tiefer liegenden sechsten Etage zu. Auf dem Gang warf er einen unauffälligen Blick nach links und rechts, wobei er – für den Fall, daß man ihn beobachtete – eine harmlose Miene zur Schau trug.
Der Korridor lag still und wie ausgestorben da.
Keycase hatte den Hotelplan und die Reihenfolge der Zimmer genau im Kopf. Den Schlüssel der Nummer 641 lose in der Hand haltend, steuerte er gemächlich die Richtung an, in der, wie er wußte, das Zimmer lag.
Es war der erste Schlüssel, der vom Moisant-Flughafen; denn Keycase hatte einen methodischen Verstand.
Nun hatte er die Tür der Nummer 641 unmittelbar vor sich. Er hielt an. Kein Lichtschein drang unter ihr hervor, kein Laut drang aus dem Inneren. Er nahm Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über.
Er spürte, wie seine Sinne sich schärften. Behutsam steckte er den Schlüssel ins Schloß und sperrte auf. Die Tür öffnete sich unhörbar. Er zog den Schlüssel heraus, trat ein und machte die Tür vorsichtig hinter sich zu.
Fahles Dämmerlicht milderte die Finsternis im Inneren des Raums. Keycase blieb stehen, um sich zu orientieren und seine Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen. Es gab mehrere Gründe, warum erfahrene Hoteldiebe gerade die Morgendämmerung bei ihren Beutezügen begünstigten. Um diese Tageszeit war es gerade hell genug, um Hindernisse zu sehen und ihnen aus dem Weg gehen zu können, aber andererseits noch dunkel genug, um notfalls unbemerkt zu entkommen. Außerdem war es der tote Punkt im Leben eines jeden Hotels – die Wachsamkeit der Nachtschicht ließ nach, je mehr sich ihr Dienst dem Ende zuneigte; und die Frühschicht war noch nicht eingetroffen. Die Gäste – selbst späte Nachtschwärmer und andere Unentwegte – hatten sich in ihre Zimmer begeben und schliefen vermutlich längst. Auch verlieh die Morgendämmerung ein Gefühl der Sicherheit, als seien die Fährnisse der Nacht endgültig vorüber.
Unmittelbar vor sich konnte Keycase den Umriß eines Toilettentisches erkennen. Rechts im Dunkeln befand sich das Bett. Tiefe, regelmäßige Atemzüge ließen darauf schließen, daß der rechtmäßige Inhaber des Zimmers fest schlummerte.
Ein Toilettentisch war stets der erste und sicherste Tip, wenn man auf das Geld aus war.
Keycase setzte sich in Bewegung, den Boden vor sich mit den Füßen abtastend nach allem, worüber er stolpern könnte. Er streckte den Arm aus und berührte den Toilettentisch. Seine Fingerspitzen glitten tastend über die Tischplatte.
Zuerst stieß er auf ein Häuflein Kleingeld. Münzen interessierten ihn nicht; sie machten beim Wegstecken zuviel Lärm. Aber wo Kleingeld war, gab es höchstwahrscheinlich auch eine Brieftasche. Da! Keycase hatte sie gefunden, und sie fühlte sich erfreulich prall an.
Im Zimmer blitzte grelles Licht auf.
Es geschah so plötzlich – ohne ein Geräusch, das ihn gewarnt hätte –, daß seine Geistesgegenwart, auf die er so stolz war, ihn völlig im Stich ließ.
Seine erste Reaktion war ganz instinktiv. Er ließ die Brieftasche los und fuhr schuldbewußt herum.
Der Mann, der die Nachttischlampe angeknipst hatte, trug einen Pyjama und saß aufrecht im Bett. Er war ziemlich jung, muskulös und sehr erbost. »Was, zum Teufel, haben Sie hier zu suchen?« fragte er aufgebracht.
Keycase stand da, mit
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