Hotel
blöd aufgerissenen Augen, und bekam kein Wort heraus.
Später sagte er sich, daß der Schläfer vermutlich auch ein oder zwei Sekunden brauchte, um sich zu fassen, und daß ihm deshalb das ertappte Herumfahren seines Besuchers entging. Aber im Moment begriff Keycase nur, daß er einen kostbaren Vorsprung eingebüßt hatte, und raffte sich verspätet zum Handeln auf.
Schwankend, wie ein Betrunkener, blubberte er beleidigt: »Was meinen Sie damit, was ich hier zu suchen hab’? Wie kommen Sie überhaupt in mein Bett?« Er streifte sich verstohlen die Handschuhe ab.
»Hol Sie der Henker! Das ist mein Bett. Und mein Zimmer!«
Keycase taumelte auf das Bett zu und blies dem anderen seinen whiskygeschwängerten Atem ins Gesicht. Er sah wie der Mann angewidert zurückwich. Sein Verstand arbeitete nun schnell und eiskalt, wie immer, wenn es hart auf hart ging. Er hatte sich schon aus schlimmeren Situationen herausgewunden.
Er wußte, daß es nun an der Zeit war, in die Defensive zu gehen, weil der rechtmäßige Inhaber des Zimmers es sonst mit der Angst bekam und womöglich Hilfe herbeirief. Der Mann, mit dem er es diesmal zu tun hatte, sah allerdings so aus, als könnte er sehr gut allein für sich einstehen.
»Ihr Zimmer?« fragte Keycase verdutzt. »Wissen Sie das genau?«
Der Mann im Bett war wütender denn je. »Du lausiger Saukopf! Natürlich weiß ich’s genau!«
»Ist das nicht die 614?«
»Nein, du Hammel! Es ist die 641.«
»'tschuldigung, Alter. Schätze, ich habe mich vertan.« Keycase zog die Zeitung, die er bei sich trug, um den Eindruck zu erwecken, daß er von draußen käme, unter dem Arm hervor. »Hier – das ist die Frühausgabe. Sonderschu… Sonderzustellung.«
»Ich will deine gottverdammte Zeitung nicht! Nimm sie und hau ab!«
Es hatte geklappt! Die wohlüberlegte Ausflucht hatte sich wieder einmal bewährt.
»Tut mir wirklich leid, Alter. Okay, okay, ich geh’ ja schon.« Er zog sich in Richtung Tür zurück.
Er war beinahe draußen; der Mann im Bett funkelte ihn noch immer zornig an. Er benutzte einen zusammengefalteten Handschuh, um den Türknopf zu drehen. Dann hatte er es geschafft. Erleichtert zog er die Tür hinter sich zu.
Angespannt lauschend, hörte er, wie der Mann drinnen aus dem Bett stieg, durchs Zimmer tappte und mit einem Rasseln die Sicherheitskette vorlegte. Keycase rührte sich nicht vom Fleck.
Volle fünf Minuten lang stand er im Korridor und wartete, ob der Mann mit dem Empfang telefonierte. Das zu erfahren, war wesentlich. Dann mußte Keycase sofort in sein Zimmer zurückkehren, bevor Alarm gegeben wurde. Aber es war kein Laut zu vernehmen, kein Klingeln, kein Surren der Drehscheibe. Die unmittelbare Gefahr war gebannt.
Später jedoch würde die Sache vermutlich anders aussehen.
Wenn Mr. 641 von neuem erwachte, im strahlenden Licht des Morgens, würde er sich an den nächtlichen Zwischenfall erinnern. Während er darüber nachdachte, würde er sich vielleicht einige Fragen vorlegen. Zum Beispiel: Angenommen, jemand hatte sich wirklich in der Zimmernummer geirrt, wieso kam es dann, daß der Schlüssel paßte? Und warum war er im Dunkeln geblieben und hatte nicht das Licht angeknipst. Dann war da noch Keycases schuldbewußtes Verhalten ganz am Anfang. Ein intelligenter, wohlausgeruhter Mann konnte diesen Teil der Szene womöglich rekonstruieren und sich einen Reim darauf machen. Auf jeden Fall wäre das Ganze Grund genug zu einem empörten Anruf bei der Hotelleitung.
Die Hotelleitung – vertreten durch einen Hausdetektiv – würde sich über die Sachlage sofort im klaren sein. Eine Routineuntersuchung würde folgen. Man würde sich den Bewohner von 614 vorknöpfen und ihn, womöglich, dem Bewohner von 641 gegenüberstellen. Beide würden versichern, daß sie einander noch nie gesehen hätten. Den Hausdetektiv würde das nicht überraschen, aber es würde seinen Verdacht bestätigen, daß ein professioneller Hoteldieb am Werk war. Die Nachricht würde sich schnell herumsprechen. Bevor Keycase seine Kampagne richtig gestartet hatte, würde das gesamte Hotelpersonal gewarnt sein und die Augen offenhalten.
Man mußte auch damit rechnen, daß sich das Hotel an die Polizei wandte. Die wiederum würde den FBI um Auskünfte über bekannte Hoteldiebe bitten, die derzeit auf freiem Fuß waren. Und wenn eine solche Liste eintraf, würden sie ganz bestimmt den Namen von Julius Keycase Milne enthalten. Auch Bilder von ihm würden dabeisein – Polizeifotos zum
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