Hotzenwaldblues
Sie jetzt bitte endlich ins Bett
gehen? Sie haben keine Ahnung, was hier los ist. Wir rechnen quasi minütlich
damit, dass irgendwo eine Sprengladung hochgeht. Oder haben Sie schon
vergessen, wann Bruno Manser verschwunden ist? Welches Datum haben wir seit
zehn Minuten? Na? Genau! Den 25. Mai! Da es am 24. keinen Anschlag
gab, müssen wir heute damit rechnen. Die Nervosität ist also entsprechend. Wo
möglich, haben wir den Personenschutz der gefährdeten Personen noch einmal
verstärkt. Wir sitzen hier auf einer Zeitbombe. Und dann kommen Sie mit Ihren
Arsenrecherchen, einem Brand, der gar kein richtiger war, und einem Streit
zwischen einem alten Mann und seinem Schwiegervater. Wenn ich richtig
informiert bin, leben die noch alle. Darum können wir uns also später kümmern.
Und ich dachte schon, Sie hätten etwas über den Wächter herausgefunden, als ich Ihre SMS bekam. Hasta la vista, Señora.«
Er hatte einfach aufgelegt! Ja, war das denn zu fassen? Na bitte,
dann sollten sie doch rödeln. Sie würden schon sehen, was sie davon hatten. Sie
würde sich jedenfalls gleich am nächsten Morgen das Trio der alten Herren
vornehmen. Oder besser Duo, denn Franz Örtler lag ja nach wie vor im
Krankenhaus.
Sie schlief unruhig in dieser Nacht. Um fünf Uhr gab sie auf.
14
Es dauerte eine Weile, bis Max Trautmann ihr auf ihr
Klingeln hin öffnete. Er war noch völlig verschlafen, kein Wunder, es war erst
sechs Uhr dreißig. Doch Iris konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Sie war viel
zu aufgewühlt.
»Was machen Sie denn hier?«
»Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit.«
»Wie mit, wohin mit? Jetzt kommen Sie erst mal hoch. Für einen
Kaffee wird es ja wohl noch reichen.«
Trautmanns Wohnzimmer war ordentlich, wie eigentlich fast immer. Es
überraschte sie dennoch. Damals, als sie gegen ihn ermittelt hatte, war dieser
Raum das Sinnbild für Chaos gewesen. Ebenso wie der Mann. Ein Mensch, im
Wortsinn ver-rückt, außer sich. Doch Trautmann hatte zu sich zurückgefunden.
Sie hingegen hatte niemals herausgefunden, was damals zwischen ihm und seinem
Stiefvater geschehen war. Aber sie würde. Irgendwann.
Der Polizeifunk lief. Er musste ihn trotz seines halb benommenen
Zustandes bereits angeschaltet haben. Bestimmt ist das jeden Tag nach dem
Aufstehen seine erste Aktion, dachte Iris. Noch im Halbschlaf. Er hatte Angst,
etwas zu verpassen. Aber es war nicht erlaubt. Sie warf ihm einen strafenden
Blick zu. »Und, gibt es etwas Neues?«, erkundigte sie sich süffisant.
Er nahm den Unterton nicht zur Kenntnis. Immerhin wirkte er leicht
verlegen. »Nein, es ist alles ruhig. Kein Wächter bisher.
Nix. Es ist, als habe sich die Erde aufgetan und ihn verschluckt.«
»Das glaube ich keineswegs.«
»Moment, das müssen Sie mir näher erklären. Aber vorher, gnädige
Frau, gestatten Sie, dass ich mir etwas anziehe. Sie könnten in der
Zwischenzeit Kaffee machen. Das können Sie doch, oder?«
»Ich kann die Male nicht zählen, die ich schon hier war und Kaffee
gekocht habe.«
»Na, die Sehnsucht nach mir hat Sie wohl auch dieses Mal nicht
hergetrieben, und das um diese Uhrzeit. Muss ja was Wichtiges sein.«
Er war schon aus dem Zimmer verschwunden, ehe sie eine Antwort geben
konnte. Iris marschierte in die Küche. Ah, da war die Stampfkaffeekanne,
dieselbe, die sie auch hatte. Sie hatte sie ihm letztes Jahr zum Geburtstag
geschenkt. Sie seufzte. Wenn er wüsste, wie oft sie Sehnsucht nach ihm hatte.
Körperlich – und auch sonst. Er war … Ja, eigentlich war er der
wichtigste Mann in ihrem Leben. Und sie musste ihn sich vom Leib halten. Um
jeden Preis. Auch wenn ihr Leib da gerade in diesem Moment anderer Ansicht war.
Der Impuls, sich in die Bettwärme sinken zu lassen, die noch von ihm ausströmte,
war überwältigend gewesen. Zurück mit ihm ins Bett zu gehen, sich an ihn zu
schmiegen, danach einzuschlafen, gemeinsam mit ihm ein zweites Mal aufzuwachen
und zusammen in diesen Tag zu gehen, der wieder einer aus Samt und Seide zu
werden versprach.
Und was machte sie stattdessen? Sie schluckte ihre Sehnsüchte
herunter und kochte Kaffee. Irgendwann wurde sie noch zur alten Jungfer. Was
heißt wurde? Das war sie doch schon. Sie brauchte schnellstens einen Mann. Aber
wie kam man an einen, der nicht blöd oder ein Macho war? Oder beides
gleichzeitig? Vielleicht war das mit dem Schnuppertraining als Gewichtheberin
gar keine so dumme Idee. Das war doch heute, um achtzehn Uhr, oder? Da gab es
mit Sicherheit Männer. Kernige,
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