House of God
Korridor hinunter. Sein Stethoskop schwang wie ein Elefantenrüssel von einer Seite zur anderen. Ich dachte an die Knochen beim Multiplen Myelom: vom Krebs zerfressen, bis sie wie Rice Crispies zerbröselten. In wenigen Minuten würde der Mann mit der agonalen Atmung einen Herzstillstand haben. Wenn Mickey Herzmassage versuchen sollte, würden die Knochen in lauter kleine Stücke zerbrechen. Selbst Mickey, der von der Philosophie des Leggo verführt worden war, man müsse immer alles für jeden Patienten tun, würde es nicht wagen, Reanimationsalarm auszulösen.
Doch Mickey gab Alarm. Von überallher stürmten
Interns
und
Residents
in das Zimmer, um den agonalen Mann vor einem friedlichen, schmerzfreien Tod zu bewahren. Ich folgte ihnen und sah eine noch größere Schweinerei, als ich mir hatte vorstellen können: Mickey drückte den Brustkorb auf und nieder und man konnte hören, wie die brüchigen Knochen unter seinen fleischigen Händen knackten, splitterten und aus den Gelenken sprangen. Ein indischer Anästhesist hantierte am Kopfende des Bettes mit seinem Ambu-Beutel herum und sah voll mitleidiger Verachtung auf die Bescherung. Vielleicht dachte er an die toten Bettler, die den Morgen von Bombay versauten. Molly war in Tränen aufgelöst und versuchte, den Anweisungen zu gehorchen, und der Kleine schrie:
»Aufhören! Nicht reanimieren!« und Mickey krachte und knirschte und schrie:
»Alle raus hier! Seine Blutwerte sind alle drei Tage perfekt.«
Was mich wirklich fertigmachte, war, als Howard, die Pfeife wie einen Zigarettenstummel zwischen die Zähne geklemmt, in das Zimmer stürmte und mit hektischem Grinsen beschloß, die Sache zu übernehmen. Genau wie der
Intern
in dem Buch «
Wie rette ich die Welt
« rief er:
»Was der hier braucht, ist ein dicker Zugang,
stat!
« Er griff nach einer riesengroßen Nadel, sah ein pulsierendes Gefäß im Unterarm – es war zufällig der chirurgisch konstruierte, sorgfältig geschützte Shunt zwischen Arterie und Vene, der Stolz von Mickeys Dialyseteam –, rammte, in den Augen die Begeisterung eines
Interns
beim Großeinsatz, die Nadel hinein und vernichtete Mickeys Phantasie, er könne alle drei Tage Perfektion in diesen kranken Körper zaubern. Als Mickey das sah, hörte er auf mit dem Geknirsche, seine Augen wurden wild wie die eines Elfmeterschützen beim Anlauf, und dann drehte er durch und schrie:
»Das ist mein Shunt! Sie Arschloch, das ist mein Shunt!! Acht Riesen, um ihn zu legen, und Sie ruinieren meinen Shunt!«
Das reichte mir, ich ging und dachte, nun, wenigstens hören sie jetzt auf und bringen den Mann mit agonaler Atmung und zerschmettertem Brustkorb nicht noch auf die Intensivstation.
Sie brachten ihn auf die Intensivstation, wo Chuck Dienst hatte. Als ich zu ihm ging, sah ich die Familie vor der Intensivstation stehen. Sie weinten, als Mickey ihnen die Lage erklärte. Chuck beugte sich blutüberströmt über das, was von dem agonalen Mann noch übrig war. Er hatte jetzt gar keine Atmung mehr, außer der des Beatmungsgerätes. Chuck sah auf und sagte:
»He, Mann, toller Fall, was?«
»Wie geht es dir?«
»Jämmerlich. Weiß du, was Mickey zu mir gesacht hat? Halten Sie ihn bis morgen am Leben, wegen der Familie, oder so ähnlich.«
»Wofür, zum Teufel, machen wir das?«
»Geld. Mann, ich möchte ja so reich sein! ’N schwarzer Fleetwood mit weißen Gangsterfelgen und ’nem Trauerkranz im Heckfenster.«
Wir setzten uns in den Gemeinschaftsraum und nippten an Chucks Jack Daniels. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schmachtete in seinem
falsetto
»There’s a … moon out too night …«
Und während ich ihm zuhörte, dachte ich, daß unsere Freundschaft begann, genauso irreal zu werden wie Chucks Traum, Sänger zu werden.
Chuck hatte es schwer gehabt, sich an die neue Stadt zu gewöhnen. Er begriff lange nicht, wie manche Dinge im Osten gehandhabt wurden. Wegen zu schnellen Fahrens war er angehalten worden und hatte, wie in Chicago üblich, eine Zehn-Dollar-Note in seinen Führerschein gelegt. Das brachte ihm einen Vortrag über »Beamtenbestechung« ein, und er mußte die Höchststrafe zahlen. Verwirrt und entwurzelt verbrachte er seine freie Zeit zu Hause, schlief, aß, trank und sah fern. Sein Leiden zeigte sich in seinem Taillenumfang und seinen häufigen Katern. Wenn ich versuchte, mit ihm darüber zu reden, bekam er stets diesen leeren Blick und sagte zu mir: »Gut, gut.« Zu mir!!
Jeder kapselte sich immer mehr ab. Je
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