House of God
mich selbst.«
Von weit her hörte ich eine Melodie in meinem Kopf: nicht den hellen, donnernden Sousa-Marsch, von Posaunen geschmettert und Zimbeln geschlagen, wenn der glitzernde Spielmannszug von einem Wunderwesen wie Molly durch die Straßen geführt wird, nein. Nein, als ich den Dicken weinen sah, hörte ich eine Melodie, die stets von einem einzelnen Hornisten geblasen und über einen grasbewachsenen Hügel getragen wird, der mit Alabasterplatten belegt ist, eine Melodie, die von denen gehört wird, die weinen, wie die Witwe und die Kinder von Kennedy geweint haben, eine Melodie von ungeheurer Einsamkeit.
Saul, der leukämische Schneider, ging durch die Hölle. Jeder, selbst der fröhliche Onkologe, der seine Leukämie nicht heilen konnte, hatte ihn aufgegeben und wartete auf seinen Tod. Er lag im Koma und starb langsam. Es konnte noch lange dauern. Das schlimmste war, daß er entsetzliche Schmerzen hatte. Sein vergiftetes Knochenmark schickte Schocks und Schreie direkt durch sein Herz und seinen Kopf, und alles kam in Klagen und Tränen heraus. Saul schrie nicht. Saul weinte. Es war kein natürliches, menschliches Weinen. Mehrere Schlaganfälle hatten seinen Schlafrhythmus gestört, so daß er niemals schlief. Sein Weinen war ein kontinuierlicher, tierischer Schmerzenslaut, Tränen strömten über seine Wangen. Keiner konnte das ertragen. Ich haßte es. Ich haßte ihn.
Ohne nachzudenken, innerlich tobend, schlich ich mich eines Nachts ins Medikamentenzimmer, nahm KCL und eine Spritze und versicherte mich, daß niemand mich zu Saul hineingehen sah. Da lag er in seinen Exkrementen, eine Masse aus Schläuchen und Pflaster und Blutergüssen und zersetzter Haut und nackten Knochen an Rippen und Ellenbogen und Knien. Ich dachte daran, was ich zu tun im Begriff war. Hielt inne. Die Erinnerung an den Tod von Dr. Sanders kam in mir hoch, ich sah ihn verbluten und hörte ihn sagen: Mein Gott, ist das schre … und ich hörte Saul sagen: Machen Sie Schluß mit mir, muß ich denn darum betteln? Machen Sie Schluß! Ich dachte an Potts. Saul schrie auf. Zornig nahm ich die Schutzhülle von der Spritze, fand den i.v.-Zugang und drückte genügend KCL hinein, um ihn zu töten. Ich sah, wie er nach Luft rang, als sein Herz depolarisierte, sah, wie seine Atmung mühsam wurde und seine Hand ein wenig zuckte, und wie Ruhe über ihn kam, Frieden. Nur seine agonale Atmung ging noch lange fort. Ich machte das Licht aus und ging hinaus, um irgendwo allein zu sein. Die Nachtschwester rief mich. Saul war tot.
Am St.-Patricks-Tag wurde ich spät in der Nacht in die Notaufnahme hinuntergerufen – ein Teil der Sonderbehandlung, die der Fisch sich ausgedacht hatte, um Geisteskranke aus uns zu machen. Mit Entsetzen fand ich dort eine Schmierenbesetzung der schlimmsten Patienten der Welt: eine tote Nonne, die gerade von Chuck ins Leben zurückgebracht wurde; einen homosexuellen Mörder, der vom Gefängnis reingebracht worden war und der seinen
Intern,
den Kleinen, trotz dessen Schnurrbart für ein Mädchen hielt, zwei Studenten mit einer Überdosis Heroin, die im Sterben lagen – und viele Gomers. Ich nahm meine Aufnahmemappe und ging zum Granatenzimmer. Ich öffnete die Tür und erblickte Dickie und Humberto und die beiden Polizisten in etwas, das wie grüne Uniformen aussah, es war ja
St. Paddies Day,
und einen Gomer namens Rose, wie sollte sie sonst heißen. Dickie und Humberto waren von oben bis unten mit Erbrochenem, Exkrementen und Blut bespritzt.
»Ein’ gans wunnerschönen Abend«, sagte Gilheeny und schwang betrunken einen Knüppel, »und essis wahr, der gute Officer Quick und ich, wir ha’m uns im Dienst mit Guinness Stout abgefüllt, und jetzt sind wir betrunken.«
»Denn Arbeit ist der Fluch des Trinkers«, sagte Quick.
»Und um Den Mann, Der Die Schlangen Aus Irland Vertrieb, zu feiern«, sagte der Rotschopf, »haben wir eine passende Rose gefunden!«
Mit Hilfe des Dicken und Humbertos hievten sie Rose in eine sitzende Position. Sie hatten ihr ein grünes Schild mit Kleeblättern ans Nachthemd geheftet, auf dem stand:
KÜSS MICH , ICH BIN IRIN
Ich mußte lachen und trat in den Kot, rutschte aus und fiel in der Tür auf den Boden. Da lag ich im Dreck und lachte, und der Dicke beugte sich über mich und schwenkte ein Probenröhrchen unter meiner Nase:
»Sehen Sie das? Das ist der ganze Urin, den sie in fünf Tagen ausgeschieden hat, und die Hälfte davon ist das harntreibende Mittel, das ich ihr gegeben
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