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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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und dachte, durch welche Qualen Potts jeden Tag, den der Gelbe noch lebte, gegangen war. »Bist du OK ?«
    »Wer, ich? Oh ja, ja. Es ist nur ein bißchen schwer … ich habe keine Obduktionserlaubnis eingeholt. Ich wollte keine«, sagte Potts, als wollte er dringend von mir hören, daß das in Ordnung sei.
    »Das ist OK . Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich habe bei Dr. Sanders auch keine eingeholt. Setz dich, sprich darüber, ja?«
    »Nein, ich denke, ich gehe nach oben und sehe ihn mir noch einmal an und dann gehe ich vielleicht ein Stück spazieren.«
    »Gut. Ich bin hier, wenn du es dir anders überlegst.«
    »Danke. Weißt du, ich hätte ihm die Steroide geben sollen.«
    »Hör auf damit. Es hätte nicht geholfen.«
    »Ja, nun, vielleicht hätten Steroide geholfen. Es war schön neulich mit Otis, nicht wahr?«
    »Das war es, Wayne. Machen wir bald wieder, ja?«
    »Ja, bald. Wenn ich Zeit habe.«
    Als ich ihm nachsah, wie er den Korridor hinunterging und im Fahrstuhl nach oben verschwand, dachte ich an meine Besuche bei ihm. Die Unordnung und der geladene Revolver neben dem Bett waren deprimierend, aber wir waren mit Otis in der Märzkälte herumgelaufen und hatten über den Süden gesprochen. Potts hatte mir von der Tanzstunde bei Mrs. Bagley erzählt, jeden Freitagabend im Country Club. Mrs. Bagley, eine Immigrantin, erschien in einem Chiffonkleid mit geschnürter Taille, setzte die Nadel in die Rille, und es ertönten die
Charelles.
Sie lernten tanzen, indem die Paare eine Walnuß mit den Nasen zwischen sich festhalten mußten. Der letzte Freitagabend war das große Ereignis des Jahres, wenn Potts und seine weniger zahmen, aber ebenfalls aus alten Familien stammenden Freunde bei einer krachenden eins zwei drei, eins zwei drei
Roll Out the Barrel
-Polka Schrotkugeln auf das gebohnerte Eichenparkett streuten. Ich fand es an jenem Tag seltsam, daß Potts den gewaltsamen Tod seines Vater, der doch noch gar nicht weit zurücklag, überhaupt nicht erwähnte.
    Plötzlich wurde mir klar, was geschehen würde! Ich Blödmann! Ich rannte zum Fahrstuhl und donnerte auf den Knopf, aber er rührte sich nicht. Ich raste die Treppen hinauf in den achten Stock, verfluchte mich, daß ich nicht gleich daran gedacht hatte und betete, daß es noch nicht zu spät sei oder ich mich geirrt hatte.
    Ich hatte mich nicht geirrt. Während ich mich in seinen Erinnerungen an Mrs. Bradley wiegte, hatte Potts den Fahrstuhl zum achten Stock genommen, ein Fenster geöffnet und sich hinausgestürzt. Vom Fenster aus sah ich die Schweinerei unten auf dem Parkplatz, und während ich noch um Atem rang und in der kalten Zugluft zitterte, hörte ich schon die erste Sirene aufheulen. Ich legte meine Stirn ans Fenster und schluchzte.
     
    »Hat er eine Nachricht hinterlassen?« fragte Berry.
    »Ja. Sie war an dem Gelben befestigt: Füttert die Katze. Aber er hatte gar keine Katze.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das war für Jo. Als Potts, Chuck und ich zusammen mit Jo oben auf Station waren, hat Jo ständig an ihm herumgenörgelt, er sollte sich besser um die Patienten kümmern, ›die Katze füttern‹. Jo sagte, wenn Potts besser aufgepaßt hätte, wäre der Gelbe vielleicht nicht gestorben.«
    Potts war für mich eine tragische Figur, ein Mann, der ein fröhlicher, blonder Junge gewesen war, den man gern zum Fischen mitnahm, der sich irrtümlich in die Schulmedizin begeben hatte, während er im Unternehmen der Familie glücklich geworden wäre, und der jetzt als verspritzte Schweinerei auf dem Parkplatz eines Krankenhauses lag, in einer Stadt, die er verachtet hatte. Was hatte ihn an der Medizin gereizt? Warum?
    »Sie haben ihn umgebracht.«
    »Wer?«
    »Jo, der Fisch, die anderen …«
    Die meisten von uns fühlten sich leer und wußten nicht, was sie tun oder sagen sollten. Die übrigen hatten klare Vorstellungen. Jo, die vielleicht an den Sprung ihres Vaters von einer Brücke in den Tod dachte, stellte die Frage nach einer Obduktion, um herauszufinden, ob es »irgendeine organische Ursache« gäbe. Der Fisch sagte aufrichtig, daß »Selbstmord stets eine existentielle Alternative« sei. Der Leggo schien verärgert, verwirrt darüber zu sein, daß einer seiner Jungs, gerade der, von dem er geglaubt hatte, er möge ihn lieber als die meisten anderen, sich umgebracht hatte. Er sprach von »dem Druck des
Internship-
Jahres« und über »die Vergeudung eines großen Talents«. Er versicherte uns, er würde uns gern etwas Zeit zur Trauer geben,

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