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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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wenn wir nicht wußten, was wir tun sollten.«
    Ein Scherz? Nein, sein Gesicht war ernst und ehrlich. Ich spürte seinen fetten, kleinen Finger in meinem. Plötzlich wußte ich, was er meinte. Das war phantastisch, ein magischer Augenblick. Ein kitzelnder Strom von Gefühl schoß durch mich hindurch. Er hatte meine Leere gespürt und reagiert. Seine Berührung bedeutete, ich war nicht allein. Er und ich waren miteinander verbunden. Ich drückte zurück. Das war Liebe. Was auch immer geschehen mochte, Dickie und ich würden Freunde sein.
    Lachend sagte ich:
    »Wissen Sie, für ein dickes Kind schwitzen Sie ziemlich wenig.«
    »Richtig. Das Leben ist hart, aber auch ein dickes Kind kann an Yom Kippur fasten.«
     
    Berry und ich lachten über den Leitartikel in
Doctor’s Wife,
ein Beitrag über eine tolle Arztfrau, die »die Wasserbomben im Abendessen eines Arztes entdeckt hatte«, nämlich, daß ihr toller Arztmann zu einem Notfall gerufen wird, der ihn solange fernhält, bis das Essen kalt geworden ist. Sie hatte nun eine »narrensichere Methode« herausgefunden, um »Roastbeef für Stunden köstlich rot zu erhalten«, indem sie es in Alufolie wickelte und auf einer Wärmeplatte lagerte. Ich erzählte Berry von meinem Rückzug auf das obere Bett und fragte sie, ob sie glaube, daß dies wieder eine Regression sei.
    »Nein, ich denke, das ist Integration, du versuchst herauszufinden, was du mit dir anfangen sollst. Jetzt, da du weißt, du kannst Arzt sein, hast du die Möglichkeit, die Medizin abzuwerfen und weiterzugehen. Was hast du vor?«
    »Mit dir in Frankreich Ferien machen. Vielleicht nehme ich ein Jahr frei.«
    »Aber was wirst du im Juli dem Leggo sagen?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe das alles hier gehaßt. Das ganze Jahr hat mir gestunken.«
    »Nicht ganz. Dickie, die Polizisten, deine Freunde, die hast du gemocht. Und du hast deinen Ambulanzpatienten gern zugehört, stimmt’s?«
    »Solange ich nichts Medizinisches machen mußte, war es schön.«
    »In der Notaufnahme bist du von Cohen, dem Psychiatrie-
Resident
fasziniert gewesen.« Dann fragte sie mit lockender Stimme: »Warum wirst du nicht Psychiater?«
    »Ich?« sagte ich überrascht. »Ein Seelenklempner?«
    »Du.« Sie sah mir direkt in die Augen und sagte: »Menschen beizustehen, das hat dich dieses Jahr bei der Stange gehalten, Roy. Und Beistehen ist der Kern der Psychiatrie.«
    Klick.
In meinem Kopf machte es
klick,
und ich bat sie, noch einmal zu wiederholen, was sie gesagt hatte.
    »Beistehen ist der Kern der Psychiatrie. Du hast dich in einem leicht schrägen Winkel zum Universum immer am wohlsten gefühlt. Psychiatrie ist vielleicht genau das Richtige für dich.«
    Beistehen.
Klick.
Der sterbende Dr. Sanders hatte gesagt, Ärzte müßten Patienten beistehen.
    »Du meinst, Patienten beistehen?«
    »Ich meine beistehen«, sagte sie. »Auch deiner Familie.«
    Familie? Meinem Großvater, in ein Heim abgeschoben, um dort zu verrotten; meinem Vater?
    … Es gibt nichts Schöneres, wenn Du krank bist, als daß ein geliebter Mensch bei Dir ist, und ein guter Arzt kann diese Rolle übernehmen …
    »Du meinst, Psychiatrie habe dem Patienten tatsächlich etwas zu bieten? Und daß sie sich darin von der Medizin unterscheidet, daß sie tatsächlich heilen kann?«
    »Manchmal. Wenn du ein Leben früh genug erwischst, ja.«
    »Worauf es ankommt, ist also, daß du den Patienten etwas bieten kannst?«
    »Nein. Du kannst dir selbst etwas bieten.«
    »Was kannst du dir selbst bieten?« fragte ich verblüfft.
    »Wachstum. Statt zu vergessen, versuchst du, dich zu erinnern. Statt defensiver, zwanghafter Oberflächlichkeit versuchst du, offener zu werden, lockerer, tiefer. Du wirst kreativ. Dein einziges Werkzeug als Therapeut bist du selbst, wer du bist und wer du werden kannst.«
    Es fiel mir schwer zu denken. Irgendwie klärte sich etwas in dem Chaos. Ich könnte jemand werden, den ich nicht verachten würde? Könnte aus der Falle der Vergangenheit entkommen, in der ich sonst sitzen und meine Erinnerungen nach Nebensächlichkeiten durchkämmen würde? Mein Ausweichen, mein Explodieren, meine Verachtung loswerden? Erregt fragte ich, ob es etwas gäbe, was ich dazu lesen könnte.
    »Freud. Fang an mit
Trauer und Melancholie.
Darin sagt Freud: ›Der Schatten des verlorenen Objekts fällt über das Ego.‹ Du hast ein ganzes Jahr unter diesem Schatten gelebt.«
    »Welchem Schatten?«
    »Deinem eigenen.«
    Mein Hort an Menschlichkeit, meine Berry. Wie sehr war

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