House of God
Sieben. »Ich kann zählen.«
»Nun, was ist dann passiert?«
»Ich hab die falsche Akte erwischt.«
»Du hast dir die Patientin nicht angesehen?«
»Doch, hab ich«, sagte Sieben. »Ich hab sie mir angesehen, ich habe nur das andere Bein nicht gesehen, das ist alles. Ich war mental auf ein Bein eingestellt, nicht auf zwei.«
»Na toll«, sagte ich. »Das erinnert mich an eine berühmte Hausregel: Zeige mir einen BMS , der meine Arbeit nur verdreifacht, und ich werde ihm die Füße küssen.«
Das Seltsame an Olive waren ihre Höcker. Als ich mit den Augen einen kurzen Ausflug in den Bereich ihres Körpers machte, bemerkte ich unter dem Laken zwei Vorwölbungen im Bereich des Oberbauchs. Neugierig versuchte ich mir vorzustellen, was das sein könnte. Brüste? Kaum. Irgendwelche Wucherungen? Nein. Ich rollte das Laken herunter und das Nachthemd hoch, und da waren sie. Unterhalb ihrer tiefhängenden, flachen Brüste wuchsen zwei Höcker aus ihrem Leib.
Sieben genoß am Fußende des Bettes den Luxus, seine EKG -Kabel an zwei Beinen anlegen zu können. Er blickte hoch. Entsetzen blitzte in seine Augen auf, und er stieß hervor:
»Huch! Was sind das denn … für Dinger?«
»Was meinst du, wonach sehen sie aus?«
»Höcker.«
»Gut, Sieben, sehr gut. Das sind sie auch.«
»Ich habe noch nie was von Höckern bei Menschen gehört. Was ist da drin?«
»Keine Ahnung«, sagte ich und sah meinen eigenen Abscheu in 789 s Augen widergespiegelt, »aber, bei Gott, wir werden es herausfinden.« Und ich fing an, sie zu untersuchen.
»Ooooaah!« sagte Sieben. »Entschuldigen Sie, aber ich … ich fühl mich …«
Ich sah ihn aus dem Zimmer rennen. Ich fühlte mich ebenfalls zum Erbrechen angewidert. Aber das, mein lieber Basch, das hast du in diesem Jahr im
House of God
gelernt: Wenn du meinst, du mußt dich übergeben, tust du es deswegen noch lange nicht.
Später, im Dienstzimmer entschuldigte Sieben sich dafür, daß ihm schlecht geworden war, und ich sagte, das sei ganz verständlich, er müsse sich diese Höcker auch nie wieder ansehen. Überrascht hörte ich ihn sagen:
»Aber ich würde sie gern untersuchen.«
»Die Höcker? Ich dachte, dir wird davon schlecht?«
»Stimmt, aber dann werde ich eben ein Antiemetikum nehmen, wenn es sein muß. Scheiß der Hund drauf, Dr. Basch, ich untersuche diese Höcker, Sie werden es sehen.«
»Tu, was du willst«, sagte ich. »Trotz der Tatsache, daß du mir nicht sagen konntest, wieviele Beine oder Zehen sie hat, gehört sie von heute an dir.«
»Also, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, Dr. Basch, aber, nun, äh, danke, vielen Dank. Ich brauch’ ein Rezept für Paspertin.«
Wer waren wir schon, daß wir uns einbildeten, wir wüßten, was diese Gomer empfinden, daß wir so scharf darauf waren, sie zu retten? War es nicht lächerlich von uns zu glauben, sie fühlten genau wie wir? So lächerlich wie sich vorzustellen, was ein Kind fühlt? Wir schoben diesen Gomers unsere eigene Angst vor dem Tod unter, aber fürchteten sie sich wirklich vor dem Tod? Vielleicht begrüßten sie ihn wie einen lange verloren geglaubten Vetter, der alt geworden ist aber immer noch vertraut, der zu ihnen kommt, um ihnen die Einsamkeit zu erleichtern, das Versagen der Sinne, den Zorn des halb Erblindeten beim Blick in den Spiegel, in dem er nicht mehr erkennen kann, wer ihm entgegenblickt. Vielleicht war er ihnen ein lieber Freund, ein Erlöser, ein Heiler, der bei ihnen bleibt bis in Ewigkeit, die gleiche Ewigkeit wie die vor langer Zeit, vor ihrer Geburt.
»Weiß du, Roy, ich möcht so richtich stinkreich sein!« sagte Chuck. »Genau das! Vielleich zieh ich im Juli so ’ne
Equal-Opportunities
-Stiftung auf, um rauszufinden, warum nur wir so tolle Typen sind und sons keiner, wie wär’s?«
»Haßt du die Medizin tatsächlich?« fragte ich.
»Also, Mann, sagen wir mal so: Ich weiß, das hier hasse ich.«
Irgendein Trottel vom Fahrdienst steckte seine Nase herein und brachte die Post. Ich nahm eine Wegwerf-Zeitung in die Hand,
Doctor’s Wife,
die an Mrs. Roy G. Basch adressiert war. Chuck sah seine Post durch, seine Augen leuchteten auf, und er sagte:
»Dammt! Jetzt fängt das schon wieder an!«
»Was?«
»Die Postkarten. Hier«, sagte er und reichte mir eine Postkarte:
Wollen Sie eine lukrative Praxis auf Nob Hill, San Francisco? Wenn ja, schicken Sie die Karte ausgefüllt zurück.
Ich verließ das
House of God
und fuhr hinaus in die Vorstadt. Vor einem großen
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