House of God
verschwand wieder.
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie eine LP gemacht wurde. In der BMS war ich darin besonders schlecht gewesen, und bei einem alten Menschen war eine LP schwieriger, weil die Bänder zwischen den Wirbelkörpern verkalkt sind wie Guano auf einem alten Stein. Und dann das Fett. Fett ist tödlich für einen
Intern,
denn alle anatomischen Orientierungspunkte werden von Fett unkenntlich gemacht. Es war mir unmöglich, mit den schlecht sitzenden Gummihandschuhen in dem wabernden Speck Sophies Mittellinie zu lokalisieren. Als ich dachte, ich hätte sie gefunden und die Nadel einführte, schrie Sophie und fuhr auf, und als ich die Nadel tiefer schob, jaulte sie und wehrte sich. Mollys Haar löste sich und fiel wie ein blonder Wasserfall über Sophies alten, schwitzenden Torso. Jedesmal, wenn ich auf Mollys Busen sah, wurde ich erregt, und jedesmal wenn Levy etwas sagte, wurde ich wütend und hätte ihm am liebsten eine runtergehauen, und jedesmal, wenn ich die Nadel tiefer schob, bäumte Sophie sich auf vor Schmerz. Ich fing an zu schwitzen, versuchte es nochmal an einer anderen Stelle auf Sophies fettem Rücken. Kein Glück. Noch einmal. Nichts. Ich sah, daß Blut aus der Spinalnadel kam und wußte, daß sie nicht saß, wo sie hätte sitzen sollen. Wo war bloß die richtige Stelle? Feucht von Schweiß rutschte mir die Brille runter und kontaminierte das sterilisierte Feld. Im gleichen Augenblick ließ Molly los, und Sophie streckte sich und wäre fast aus ungefähr orthopädischer Höhe zu Boden gegangen. Wir erwischten sie gerade noch rechtzeitig. Beschämt, meine Eitelkeit im Schweiß über Sophie verspritzt, sagte ich zu Levy, er solle lieber den Dicken holen, statt herumzuglotzen. Dickie kam. Mit zwei Handgriffen brachte er Molly und Sophies Schweinerücken in Position, und glitt, eine Melodie aus der Werbung summend, mit einem leichten Schub durch das Fett und traf den Subarachnoidalraum. Ich staunte über diese Virtuosität. Wir sahen die klare Spinalflüssigkeit heraustropfen. Dickie nahm mich zur Seite, legte mir wie ein Trainer den Arm um die Schultern und flüsterte:
»Sie waren meilenweit von der Mitte entfernt. Entweder haben Sie die Niere oder den Darm getroffen. Beten Sie, daß es die Niere war. Wenn es der Darm war, ist Infektion angesagt, und Sophie könnte ihre letzte Abschiebung bevorstehen, zur Pathologie.«
»Pathologie?«
»Leichenhalle. Kein Zurückprallen. Aber ich glaube, es hat geklappt. Hören Sie mal.«
»Ich will nach Hause ich will nach Hause ich will …!!!«
Ich befürchtete, daß ich eine Infektion verursacht hatte, die Sophie für immer nach Hause schicken würde. Wie als Bestätigung dafür, war Potts am Nebenbett hinter dem Vorhang mit seinem ersten Toten beschäftigt. Sein Patient, der junge Vater, der am Vortag an der Grundlinie zusammengebrochen war, war gestorben. Potts war gerufen worden, um den Tod des Patienten festzustellen, wie es das Gesetz verlangte. Wir spähten durch den Vorhang: Potts stand am Fußende des Bettes, sein BMS neben ihm mit einer Bibel, auf der Potts Hand lag. Seine andere Hand wies auf den Toten, der weiß dalag wie eine Leiche, was er ja auch war. Potts sagte:
»Kraft der mir von diesem Staat und der Nation verliehenen Autorität erkläre ich hiermit Dich, Elliot Reginald Needleman, für tot.«
Molly neigte sich zu mir, wobei ihre linke Brust meinen Arm streifte, und fragte:
»Ist das wirklich notwendig?«
Ich wußte es nicht und fragte Dickie.
»Natürlich nicht«, sagte der. »Die einzige Bundesvorschrift lautet: Du sollst zwei Pennies aus deinen Schuhen nehmen und auf die Augen des Toten legen.«
Später saß Potts niedergeschlagen mit uns in der Stationszentrale. Mit geröteten Augen artikulierte er mühsam:
»Er ist tot. Vielleicht hätte ich ihn eher zur Chirurgie rüberschicken sollen. Ich hätte etwas tun sollen. Aber ich war so müde, als er reinkam, ich konnte nicht einmal mehr denken.«
»Du hast getan, was du konntest,« sagte ich. »Dem ist ein Aneurysma geplatzt, nichts hätte ihm mehr helfen können. Die Chirurgen haben eine Operation abgelehnt.«
»Ja, sie sagten, es sei zu spät. Wenn ich schneller gewesen wäre, vielleicht …«
»Genug jetzt«, sagte der Dicke. »Hören Sie zu, Potts, Sie müssen Regel Nr. 4 lernen: Der Patient ist derjenige, der krank ist. Verstanden?«
Bevor Potts Gelegenheit hatte, dies zu verstehen, wurden wir vom
Chief Resident,
dem Fisch, unterbrochen. Er sah besorgt aus.
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