Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
Vom Netzwerk:
nachdenken.«
    Ich schwieg. Sie wurde wütend. Sie konnte nicht wissen, daß ich nur bemitleidet und geliebt werden wollte. Es war alles so schnell gegangen. Nur zwei Tage, und es war, als würde ich in einem starken Strom schwimmen, als fände ich, wenn ich aufsah, mein Leben eine Ewigkeit weiter stromabwärts, das Ufer weit weg. Eine Kluft hatte sich aufgetan. Bisher hatten Berry und ich in derselben Welt gelebt, außerhalb des
House of God.
Jetzt war meine Welt innerhalb des
House:
der Gelbe in meinem Alter und der Kleine, beide im Begriff, ins Gras zu beißen. Der tote Vater in meinem Alter, dem beim Baseballspiel ein Aneurysma geplatzt war. Die
Privates,
Schlecker und Gomers. Und Molly, die wußte, was ein Gomer ist und warum wir gelacht hatten. Mit Molly hatte es bisher noch nicht einmal ein Gespräch gegeben, nur die gestreckte Beuge, den Busen und die vollen runden Schalen, rote Fingernägel, blaue Lidschatten, Höschen mit Blumen und Regenbogen und das Gelächter zwischen all den Gomers und dem Tod. Molly war das Versprechen einer Brust an einem Arm. Molly war Abstand.
    Molly war aber Abstand von vielem, das ich liebte. Ich wollte gar nicht über Patienten lachen. Wenn es wirklich so hoffnungslos war, wie der Dicke sagte, würde ich sofort aussteigen. Ich wollte diese Kluft zwischen Berry und mir nicht, darum redete ich mir ein, der Dicke habe trotz allem nicht alle Tassen im Schrank. Wenn ich ihm glaubte, würde ich Berry verlieren. Ich sagte:
    »Du hast recht. Es ist krank, über alte Leute zu lachen. Es tut mir leid.«
    Einen Augenblick lang sah ich mich als richtigen Arzt, der hereinrauscht und Leben rettet, und Berry und ich seufzten zusammen, schmusten zusammen, zogen uns zusammen aus und liebten uns eng und warm und feucht zusammen, und die bedrohliche Kluft fügte sich ebenfalls wieder zusammen.
    Sie schlief. Ich lag wach und fürchtete mich vor meinem nächsten Tag, vor meinem bevorstehenden ersten Nachtdienst.

5
    Am nächsten Morgen weckte ich Chuck. Er sah mitgenommen aus. Sein Kraushaar war auf einer Seite zusammengedrückt, sein Gesicht narbig von den Falten des Lakens, ein Auge blutunterlaufen, das andere zugeschwollen.
    »Was ist denn mit deinem Auge passiert?«
    »Wanzen. Verdammte Viecher, genau ins Auge gebissen. Gibt ’ne gemeine Sorte Viecher in diesem Dienstzimmer.«
    »Dein anderes Auge sieht aber auch scheußlich aus.«
    »Mann, du solltest es mal von dieser Seite aus sehen. Hab schon die Wirtschaftszentrale angerufen, wegen frischer Laken, aber du weißt ja wie das is. Bevor ich diese Postkarten krichte, binich auch nie ans Telephon gegangen. Gibt nur eine Art, mit der Wirtschaftszentrale umzugehen, Mann, und das werdich.«
    »Nämlich?«
    »Liebe. Der Boss der Bettenmacher heißt Hazel. Ist ’ne große Kubanerin. Ich weiß, ich könnte sie lieben.«
    Während des Kartenflips fragte Potts Chuck, wie es ihm in der Nacht ergangen sei.
    »Spitze. Sechs Aufnahmen, die jüngste vierundsiebzig.«
    »Wann hast du dich hingelegt?«
    »Mitternacht.«
    Staunend fragte Potts: »Was? Wie hast du denn den ganzen Schreibkram erledigt?«
    »Ganz einfach, Mann, beschissene Schreibarbeit, Mann, beschissene Schreibarbeit.«
    »Ein Schlüsselbegriff«, sagte der Dicke. »Man muß glauben, man macht beschissene Arbeit. Wenn ihr euch damit abfindet, beschissene Arbeit zu tun, kommt ihr voran und kriegt die Arbeit erledigt. Da wir zu den obersten 10  Promille aller
Terns
gehören, die eins der besten
Ternships
der Welt absolvieren, wird das, was wir tun, automatisch tolle Arbeit werden, Superarbeit. Vergeßt nicht, daß in Amerika vier von zehn
Interns
kein Englisch können.«
    »Es war also nicht so schlimm, Chuck?« fragte ich voller Hoffnung.
    »Schlimm? Oh, es war schlimm. Mann, letzte Nacht ham sie mich echt fertiggemacht.«
    Am meisten machte ich mir um den Kleinen Sorgen. Als ich morgens ins
House
gekommen war, aus einem hellen, gesunden Julitag in das kränkliche Neonlicht und den zeitlosen Geruch des Korridors, war ich am Zimmer des Gelben vorbeigegangen. Plastiksäcke mit der Aufschrift »Vorsicht – hochinfektiös« standen davor, gefüllt mit blutigen Laken, Handtüchern, Arbeitskleidung und Instrumenten. Das Zimmer war voller Blut gewesen. Eine Schwester, wie eine Raumfahrerin in sterile Kleidung gehüllt, saß so weit wie möglich von dem Körper entfernt und las
Haus und Garten.
Der Gelbe lag still, vollkommen still. Der Kleine war nirgendwo zu sehen.
    Erst beim Mittagessen traf ich

Weitere Kostenlose Bücher