House of God
Sepsis von ihrem Dauerkatheter, will nicht essen, möchte sterben, ist dement und hat einen unhaltbaren Blutdruck. Was ist das Erste, das Wichtigste, was zu tun ist?«
Ich dachte an septischen Schock als Diagnose und schlug eine LP vor.
»Nein. Das ist BMS -Lehrbuch. Vergessen Sie das Lehrbuch.
Ich
bin Ihr Lehrbuch. Nichts, was Sie auf der BMS gelernt haben, wird Ihnen heute Nacht helfen. Hören Sie zu. Grundwissen, Regel Nr. 5 : Zuerst an Verlegung denken.«
»Also, das geht mir doch ein bißchen zu schnell. Ich meine, Sie stellen hier lauter Vermutungen über diese Person an. Sie gehen mit einem Menschen um wie mit einem Gepäckstück.«
»Oh? Ich bin mal wieder grob, grausam und zynisch, ja? Ich habe kein Gefühl für die Kranken? Habe ich doch. Ich weine im Kino. Ich bin siebenundzwanzig Passahfeste von der sanftesten Großmutter, die je ein Junge aus Brooklyn hatte, verwöhnt worden. Aber ein Gomer im
House of God
ist ganz was anderes. Das werden auch Sie heute nacht herausfinden.«
Wir standen in der Zentrale der Notambulanz. Mehrere Personen saßen dort. Howard Greennspoon, der neue
Intern
vom Dienst in der Notambulanz, und zwei Polizisten. Ich kannte Howard von der BMS . Er war mit zwei Eigenschaften gesegnet, die sich in der Medizin als außerordentlich nützlich erwiesen: Er war sich seiner selbst nicht bewußt und nahm auch andere Menschen nicht zur Kenntnis. Howard war nicht besonders intelligent, er hatte sich seinen Weg durch die BMS und zum
House
geschleckt, indem er irgend etwas mit Urin machte. Entweder ließ er Urin durch Computer laufen oder betrieb Computer mit Urin. Das hatte ihm die Zuneigung des Leggo eingebracht, des zweiten kleinen Urin-Liebhabers. Howard war ein Arbeitstier und ein Planer, er neigte dazu, bei medizinischen Entscheidungen Computerdaten als Hilfsmittel einzusetzen. Bereits zu Beginn des
Internships
hatte er eine phantastische Art entwickelt, mit den Kranken umzugehen, um seine unglaubliche Unentschlossenheit zu verstecken. Howard wollte dem Dicken und mir »den Fall vorstellen«, aber Dickie ignorierte ihn und wandte sich an die beiden Polizisten. Der eine war dick wie ein Faß, mit roten Haaren, die aus und in allen Falten seines fetten, roten Gesichts wucherten. Der andere war dünn wie ein Streichholz mit weißer Gesichtshaut und schwarzem Haar, wachsamen Augen und einem großen, bekümmerten Mund voller schiefer Zähne.
»Ich bin Sergeant Gilheeny«, sagte der Rote, »Finton Gilheeny, und das ist Officer Quick. Dr. Roy Basch, wir wünschen Ihnen einen Guten Tag und Shalom.«
»Sie sehen nicht aus wie ein Jude«, sagte ich.
»Man muß nicht Jude sein, um einen heißen Pumpernickel-Bagel zu mögen, und außerdem sind Juden und Iren in mancher Hinsicht gleich.«
»In welcher?«
»In ihrem Respekt für die Familie und dem damit einhergehenden versauten Zustand ihres Lebens.«
Irritiert, weil er nicht beachtet wurde, versuchte Howard noch einmal, uns etwas über meine Aufnahme zu erzählen. Der Dicke brachte ihn sofort zum Schweigen.
»Aber Sie wissen doch noch gar nichts über sie«, sagte Howard.
»Sagen Sie mir, wie sie kreischt, und ich weiß alles.«
»Wie sie was?«
»Kreischt. Was macht sie für ein Geräusch?«
»Also«, sagte Howard, »sie kreischt nicht. Sie macht so ein ›Ruuuudl‹.«
»Anna O.«, sagte Dickie. »
Hebrew House for Incurables.
Das dürfte ungefähr ihre sechsundachtzigste Aufnahme sein. Fangen Sie mit 160 mg Lasix an und gehen Sie dann höher.«
»Woher wissen Sie das?« fragte Howard.
Dickie überhörte ihn, wandte sich an die Polizisten und sagte:«
Offensichtlich hat Howard das Wichtigste in diesem Fall unterlassen. Ich vertraue darauf, daß Sie, meine Herren, daran gedacht haben.«
»In unserer Eigenschaft als Polizisten auf Streife in der Stadt und in der Umgebung des
House of God,
die oft hier sitzen und mit den großartigen jungen Medizinern schwatzen und Kaffee trinken, tun wir manchmal auch etwas für die Patienten der Notaufnahme«, sagte Gilheeny.
»Wir sind Männer des Gesetzes«, sagte Quick, »und deshalb befolgen wir das Hausgesetz: Zuerst an Verlegung denken. Wir haben im
Hebrew House
angerufen. Leider ist während der Fahrt mit dem Krankenwagen hierher das Bett von Anna O. belegt worden.«
»Zu schade«, sagte der Dicke. »Nun gut, an Anna O. kann man eine Menge lernen. Sie hat unzähligen
House-Interns
Medizin beigebracht. Roy, gehen Sie zu ihr. Sie haben zwanzig Minuten bis zum zehn-Uhr-Essen. Ich warte
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