House of God
zu sterben, gewöhnlich, indem er aus der Nase, dem Mund, dem Darm oder den Hoden blutete, und jede Nacht frisierten Chuck oder ich heimlich den Mist aus ihm heraus, für sein spannendes Abenteuer am nächsten Tag mit einem
Intern,
der schlapp und verstört war und Todesangst davor hatte, irgend etwas unternehmen zu müssen.
Mir fiel plötzlich ein, was der Kleine mir auf meine Frage, ob er den Aszites in Lazarus’ Bauch punktiert hätte, geantwortet hatte, bevor er das erste Mal das Haus verließ. »Es geht ihm gut«, hatte der Kleine gesagt und dabei weggesehen.
»Einen Augenblick«, hatte ich gesagt, »hast du seinen Bauch punktiert oder nicht?«
»Nein.«
»Großer Gott! Warum nicht, zum Teufel?«
»Ich habe nie gelernt, wie man das macht. Man muß eine große Nadel benutzen, und ich … ich habe Angst, ihm wehzutun.«
Schlapp. Fluchend ging ich zu Lazarus, der wieder ernsthaft im Sterben lag, und da ich diese Situation aus jedem Nachtdienst kannte, wußte ich, was ich zu tun hatte und beeilte mich, ihn wieder hochzubekommen. Molly kam mir in sein Zimmer nach und sagte, da wäre ein Anruf für mich. Es war der Kleine.
»Wie geht es Mrs. Risenshein?« fragte er.
»Gut, aber Lazarus hat gerade versucht abzusteppen«, sagte ich und bemühte mich, ihn nicht anzuschreien, weil er den verdammten Bauch nicht punktiert hatte.
»Ich hätte ihm den Bauch punktieren sollen.«
»Wo bist du?«
»Chinatown. Aber, wie geht es Lazarus?«
»Was habt ihr gegessen?«
»Lo mein, moo goo gai pan und viel Reis, aber, wie geht es ihm?«
»Klingt köstlich. Er ging den Bach runter«, sagte ich.
»Oh nein! Ich komme sofort!«
»Aber ich habe ihn gerettet.«
»Ah, wunderbar!«
»Mach’s gut«, sagte ich, weil ich Molly aus Lazarus’ Zimmer winken sah, »er versucht es schon wieder.«
»Ich komme sofort!«
»Was machst du nach dem Essen?«
»Ich dachte, ich nehme sie mit nach Hause.«
»Was? Zu June, bist du verrückt?«
»Warum nicht?«
»Schon gut. Ich muß gehen, aber hör zu, was auch immer du machst, nimm sie nicht mit zu dir. Geh zu ihr. Denk daran: hoch antäuschen und flach spielen. Bis dann.«
Aus irgendeinem Grund kamen die Patienten immer in bestimmten Diagnose-Gruppen zur Aufnahme ins
House of God:
drei Herzanfälle, zwei Nieren, vier Lungen. In jener drückendheißen Nacht war die Krankheit, die uns am meisten bedrückt, an der Reihe: Es war Krebsnacht im
House of God.
Zuerst kam ein kleiner Schneider namens Saul. Als ich in der Notaufnahme seine Akte las, sagte mir Howard, der jede Minute des
Internship
zu lieben schien, und den ich deswegen haßte, Saul habe eine Lungenentzündung. Er schäumte über vor Aufregung, »wirklich Arzt zu sein«. Der Blutabstrich zeigte, daß Saul eine akute Leukämie hatte. Seine Lungenentzündung war Teil einer Sepsis, denn seine weißen Blutkörperchen funktionierten nicht mehr. Saul wußte, daß er krank war, auch wenn er nicht wußte, wie krank, und als ich ihn zum Thorax-Röntgen schob, fragte ich ihn, ob er ohne Hilfe stehen könnte.
»Stehen? Ich könnte ’n ganzes Spiel durchstehen«, sagte Saul und fiel um. Ich half ihm hoch, diesem knochigen kleinen Mann, der gerade noch jung genug war, um zu sterben, und dem ich eben gesagt hatte, daß er Leukämie hat. Als ich ihn vor dem Röntgenschirm allein ließ, rutschten ihm die Unterhosen runter.
»Saul«, sagte ich, »Sie verlieren Ihre Unterhosen.«
»Ach, wirklich? Ich verliere hier mein Leben, und Sie reden von meinen Unterhosen?«
Ich war bewegt. Er war wie die Generation unserer Großväter. Mit der lakonischen Ergebenheit eines Juden in der Diaspora sah er zu, wie der letzte Nazi, die Leukämie, ihn aus seiner einzigen wahren Heimat, seinem Leben, vertrieb.
Leukämie war der Inbegriff meiner Hilflosigkeit, denn die Behandlung bestand darin, das Knochenmark mit Zellgiften, Zytotoxinen, zu bombardieren, bis es unter dem Mikroskop aussah wie Hiroshima, schwarz, leer und ausgebrannt. Und dann wartete man, ob das Mark irgendwelche gesunden Zellen regenerierte oder nur denselben gemeinen Krebs. Da es für eine bestimmte Zeit keine Blutkörperchen gab, keine weißen, die Infektionen abwehren und keine roten, die Sauerstoff transportieren, und keine Blutplättchen, die Blutungen verhindern, bestand die Behandlung in erster Linie darin, Infektionen zu bekämpfen und rote Blutkörperchen für den Sauerstofftransport zu injizieren und Blutplättchen, um Blutungen zu verhindern. Gleichzeitig verursachte man
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